Die Liebe des Highlanders
schob sich die Haare hinter ein Ohr und setzte sich auf, um nachzusehen, wo ihre Sachen gelandet waren. Der Rucksack lag tief unten, am Grund einer bedrohlich schmalen Schlucht.
Gwen robbte näher zur Kante und spähte in den Abgrund. Ihre Nikotinpflaster waren in dem Rucksack, und sie konnte ohne dieses Hilfsmittel kaum damit rechnen, Nichtraucherin (an das Wort Raucherin wollte sie überhaupt nicht mehr denken) zu bleiben. Vermutlich war der Spalt nicht tiefer als acht, neun Meter, und sie konnte ihre Sachen erreichen.
Es gab keine Alternative, sie musste da hinunter und den Rucksack holen.
Sie rutschte rückwärts auf dem Bauch über die Kante und tastete mit den Füßen nach einem Halt. Ihre Wanderstiefel hatten griffige Sohlen mit starkem Profil, das erleichterte ihr den Abstieg. Aber die rauen Steine kratzten ihr die Beine auf, und sie wünschte, sie hätte statt der modischen, khakifarbenen Abercombie-and-Fitsch-Shorts ihre Jeans angezogen. Das dünne weiße Trägertop war bequem beim Wandern, aber das ausgewaschene Jeanshemd, das sie sich um die Taille gebunden hatte, wickelte sich immer wieder um ihre Beine. Sie band es los und ließ es in die Tiefe fallen, um es nachher, vor dem Aufstieg, im Rucksack zu verstauen.
Die Kletterpartie war mühsam und anstrengend, aber ihr halbes Leben befand sich in diesem Rucksack - und zwar durchaus die bessere Hälfte: Kosmetika, Haarbürste, Zahnpasta, Zahnseide, etliche Schlüpfer und viele andere Utensilien, die sie bei sich haben wollte, falls ihr Koffer verloren ging. Oh, gib’s zu, Gwen, sagte sie sich, du könntest wochenlang nur mit dem Inhalt dieses Rucksacks überleben.
Die Sonne brannte auf ihren Schultern; sie schwitzte. Ausgerechnet jetzt muss die Sonne direkt in die Schlucht scheinen, dachte sie verärgert. Eine halbe Stunde früher oder später läge hier alles im Schatten.
Als sie fast unten angelangt war, glitt sie aus und trat unabsichtlich gegen den Rucksack. Jetzt klemmte er in der Felsspalte fest. Gwen blinzelte in die Sonne und brummte: »Komm schon, ich versuche doch nur, mit dem Rauchen aufzuhören. Du könntest mir ruhig ein bisschen helfen.«
Sie ließ sich den letzten Meter hinunter und stellte einen Fuß auf den Boden. Geschafft. Sie hatte zwar kaum genug Platz, um sich umzudrehen, aber sie war heil angekommen. Sie setzte den anderen Fuß auf und streckte die Hände nach Jeanshemd und Rucksackriemen aus. Sie bekam beides zu fassen.
Plötzlich gab der Boden unter ihr nach. Alles ging so schnell, dass Gwen kaum Zeit hatte, nach Luft zu schnappen, bevor sie durch den felsigen Untergrund brach. Sie fiel schreckliche Sekunden lang und landete mit einer solchen Wucht, dass es ihr die Luft aus der Lunge presste.
Sie keuchte. Steine und Erde regneten auf sie herab. Der Rucksack, den sie mit sich gerissen hatte, schlug auf ihre Schulter, bevor er in die Dunkelheit rollte. Schließlich schnappte sie nach Luft und atmete durch. Sie spuckte Haare und Dreck aus und versuchte, ihren Zustand einzuschätzen, bevor sie sich bewegte.
Sie war schwer gestürzt und fühlte sich von Kopf bis Fuß zerschlagen. Ihre Hände bluteten, weil sie in der Panik versucht hatte, sich am kantigen Rand der Felsspalte festzuhalten. Doch zum Glück hatte sie sich nichts gebrochen.
Sie drehte vorsichtig den Kopf und betrachtete das Loch, durch das sie gefallen war. Ein hartnäckiger Sonnenstrahl drang bis zu ihr durch.
Ich werde jetzt nicht in Panik geraten, nahm sie sich vor, aber das Loch über ihrem Kopf war unerreichbar. Schlimmer noch, sie war auf dem ganzen Weg bis auf den Felsen keinem einzigen Wanderer begegnet. Sie konnte sich die Seele aus dem Leib schreien und würde trotzdem nie gefunden werden. Sie unterdrückte ein Schaudern und sah sich in der Finsternis um. Die schwarze Felswand war nur ein paar Meter von ihr entfernt, und sie hörte in der Ferne leises Plätschern. Offenbar war sie in eine Höhle gefallen.
In der Broschüre hatte nichts von Höhlen in der Nähe von Loch Ness gestanden ...
Ihr Denkvermögen setzte vollends aus, als sie merkte, dass sie nicht auf einem Stein oder auf der Erde lag. Im ersten Schock nach dem Absturz hatte sie wie selbstverständlich angenommen, auf dem harten Grund der Höhle gelandet zu sein. Sie lag auf etwas Festem, aber es war nicht kalt. Es war sogar ziemlich warm. Und wenn man bedachte, dass bis vor wenigen Momenten kein Sonnenlicht zu dieser Stelle durch- gedrungen war, wie konnte dann in dieser dunklen, kalten
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