Die Liebe einer Frau
war, als berührte sie einen schlimmen Zahn.
Der Pick-up vor ihnen verlangsamte die Fahrt und bog ohne abzuwinken in einen langen, baumgesäumten Feldweg. Eve sagte: »Ich kann ihm nicht weiter folgen, Philip«, und fuhr weiter geradeaus. Aber als sie an dem Feldweg vorbeikam, fielen ihr die Torpfosten auf. Sie waren ungewöhnlich, Minaretten nachgebildet und geschmückt mit weißgekalkten Kieseln und bunten Glasscherben. Keiner von beiden war gerade, und sie standen halb versteckt unter Goldrute und wilder Möhre, sodass sie die Funktion von Torpfosten eingebüßt hatten und vielmehr aussahen wie vergessene Versatzstücke einer Ausstattungsoperette. Sowie Eve sie erblickte, erinnerte sie sich an etwas anderes – eine weißgekalkte Mauer im Freien, in die Bilder eingelassen waren. Bilder mit steifen, phantastischen, kindlichen Szenen. Kirchen mit Kirchtürmen, Burgen mit Wehrtürmen, quadratische Häuser mit quadratischen, schiefen gelben Fenstern. Dreieckige Weihnachtsbäume und tropische bunte Vögel, halb so groß wie die Bäume, ein fettleibiges Pferd mit spindeldürren Beinen und brennend roten Augen, schlängelnde blaue Flüsse wie aus Bändern, ein Mond und betrunkene Sterne und Sonnenblumen, die ihre prallen Köpfe über Hausdächer neigten. All das aus bunten, in Beton oder Gips eingelassenen Glasscherben. Sie hatte das gesehen, und es war nicht an einem öffentlichen Ort. Es war draußen auf dem Land, und sie war mit ihrer Mutter dort gewesen. Die Gestalt ihrer Mutter ragte vor der Wand auf – sie redete mit einem alten Farmer. Er mochte kaum älter gewesen sein als ihre Mutter, aber für Eve sah er alt aus.
Ihre Mutter und die Hotelfrau unternahmen auf diesen Ausflügen oft auch Fahrten, um sich merkwürdige Dinge anzusehen, nicht nur alte Möbel und Gerätschaften. So waren sie gefahren, um einen bärenförmig gestutzten Strauch zu sehen und einen Obstgarten mit Zwergapfelbäumen.
Eve erinnerte sich überhaupt nicht an die Torpfosten, hatte aber den Eindruck, dass sie nirgendwo anders hingehören konnten. Sie wendete und bog in den schmalen Weg unter den Bäumen. Die Bäume waren stämmige alte Kiefern, wahrscheinlich gefährlich – man sah halbtote Äste baumeln, und Äste, die schon heruntergeweht worden waren, lagen im Gras und im Unkraut zu beiden Seiten des Wegs. Das Auto rumpelte über die holperige Fahrspur, und das Geschaukel gefiel Daisy offenbar. Sie machte Begleitgeräusche.
Hoppa, hoppa, hoppa.
Etwas – oder auch alles, was Daisy vielleicht von diesem Tag in Erinnerung blieb. Die knorrigen Bäume, die plötzlichen Schatten, die interessante Bewegung des Autos. Vielleicht die weißen Gesichter der wilden Möhre, die die Fenster streiften. Das Gefühl von Philip neben ihr – seine unbegreifliche, ernste Anspannung, das Gellen seiner unnatürlich beherrschten Kinderstimme. Ein wesentlich vageres Gefühl von Eve – bloße, sommersprossige, sonnenverrunzelte Arme, graublonde, von einem schwarzen Haarband gezähmte krause Locken. Vielleicht ein Geruch. Nicht mehr nach Zigaretten oder nach den aufdringlichen Cremes und Kosmetika, für die Eve früher so viel Geld ausgegeben hatte. Alte Haut? Knoblauch? Wein? Mundwasser? Eve konnte schon tot sein, wenn Daisy sich an diesen Tag erinnerte. Daisy und Philip konnten sich entfremdet haben. Eve hatte mit ihrem eigenen Bruder seit drei Jahren nicht mehr gesprochen. Nicht, seitdem er am Telefon zu ihr gesagt hatte: »Du hättest nicht Schauspielerin werden sollen, wenn du nicht das Zeug dazu hast, erfolgreich zu sein.«
Von dem Haus vor ihnen war nichts zu sehen, aber durch eine Lücke zwischen den Bäumen ragte das Skelett einer Scheune auf, ohne Wände, die Balken trugen ein Dach, das noch ganz war, sich aber zu einer Seite neigte wie ein komischer Hut. Teile von Landwirtschaftsmaschinen, alten Autos oder Nutzfahrzeugen schienen rings verstreut zu liegen in dem Meer blühenden Unkrauts. Eve hatte nicht viel Zeit, um hinzuschauen – sie hatte auf dem unebenen Weg alle Hände voll mit dem Auto zu tun. Der grüne Pick-up vor ihr war verschwunden – wie weit konnte er gefahren sein? Dann sah sie, dass der Weg eine Biegung nahm. Die Biegung kam, sie verließen den Schatten der Kiefern und waren im Sonnenlicht. Derselbe Meerschaum wilder Möhren, derselbe Eindruck von rings verstreutem, rostendem Schrott. Eine hohe wilde Hecke auf einer Seite, und dahinter endlich das Haus. Ein großes Haus, zwei Geschosse aus gelblich grauen Ziegeln, ein
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