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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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und Unkraut. An manchen Stellen kümmerten die Büsche unter Haufen alter Reifen und Flaschen und Blechdosen. Es ließ sich schwer vorstellen, dass etwas aus dem Haus hinaus geworfen worden war, bei all dem, was sich darin stapelte, aber offenbar doch. Und als Eve wendete, sah sie an einer dieser Stellen Reste einer Mauer, an der noch Placken weißer Tünche klebten.
    Sie meinte, buntglitzernde Glasscherben darin stecken zu sehen.
    Sie bremste nicht, um genauer hinzuschauen. Sie hoffte, dass Philip nichts aufgefallen war – sonst wollte er vielleicht anhalten. Sie fuhr auf den Feldweg zu, vorbei an der lehmverkrusteten Treppe zum Haus. Der kleine Mann winkte von dort mit beiden Armen, und Trixie wedelte mit dem Schwanz, aufgescheucht aus ihrem verängstigten Gehorsam bellte sie zum Abschied und jagte ihnen ein Stück weit nach. Die Jagd war reine Formsache, sie hätte das Auto ohne weiteres einholen können, denn Eve musste stark abbremsen, sobald die Schlaglöcher einsetzten.
    Sie fuhr so langsam, dass das, was nun geschah, keine besondere Geschicklichkeit erforderte: Eine Gestalt tauchte aus dem hohen Unkraut auf der Beifahrerseite des Autos auf und riss die Tür auf – die Eve unverriegelt gelassen hatte – und sprang ins Auto.
    Es war der blonde Mann am Tisch, dessen Gesicht sie nicht gesehen hatte.
    »Keine Angst. Keine Angst, Leute. Ich hab nur gedacht, ob ich nicht bei euch mitfahren kann, wenn’s geht?«
    Es war kein Mann oder Junge; es war ein Mädchen. Ein Mädchen, das jetzt ein dreckiges Unterhemd anhatte.
    Eve sagte: »Doch, das geht.« Mit Mühe schaffte sie es, das Auto in der Fahrspur zu halten.
    »Ich konnte Sie drüben im Haus nicht fragen«, sagte das Mädchen. »Ich bin ins Badezimmer gegangen und aus dem Fenster geklettert und hierhergerannt. Die haben wahrscheinlich noch gar nicht gecheckt, dass ich weg bin. Die sind voll breit.« Sie griff sich ein Stück von dem Unterhemd, das ihr viel zu groß war, und roch daran. »Stinkt«, sagte sie. »Ich hab mir das aus Harolds Klamotten im Badezimmer gegriffen. Stinkt.«
    Eve verließ die Schlaglöcher, die Dunkelheit des Feldwegs, und war wieder auf der regulären Straße. »Mann, bin ich froh, da raus zu sein«, sagte das Mädchen. »Ich hatte keine Ahnung, in was ich da reingeraten bin. Ich weiß nicht mal, wie ich da hingekommen bin, es war Nacht. Das war nichts für mich. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Die kamen mir alle ziemlich betrunken vor«, sagte Eve.
    »Ja. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
    »Schon gut.«
    »Wenn ich nicht reinspringe, hab ich gedacht, hält die nicht für mich an. Oder hätten Sie?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Eve. »Wahrscheinlich schon, wenn ich gewusst hätte, dass Sie ein Mädchen sind. Ich habe Sie ja gar nicht richtig zu sehen bekommen.«
    »Ja. Ich seh ja auch nicht gerade toll aus im Moment. Ich seh beschissen aus. Ich sage nicht, dass ich was gegen Feten habe. Ich bin gern auf Feten. Aber es gibt solche und solche, wissen Sie, was ich meine?«
    Sie drehte sich um und sah Eve so unverwandt an, dass Eve für einen Moment die Straße aus den Augen lassen und ihren Blick erwidern musste. Und sie sah, dass das Mädchen wesentlich betrunkener war, als sie sich anhörte. Ihre dunkelbraunen Augen waren glasig, aber weit offen, rund vor Anstrengung, und sie hatten den flehentlichen und dabei fernen Ausdruck, den Augen Betrunkener annehmen, eine Art letztes, verzweifeltes Bemühen, anderen etwas vorzumachen. Ihre Haut war an manchen Stellen rotfleckig und an anderen aschfahl, ihr ganzes Gesicht gezeichnet von den Folgen einer gewaltigen Sauftour. Sie war von Natur aus brünett – die goldenen Stacheln waren absichtlich und herausfordernd dunkel an den Wurzeln – und eigentlich hübsch, wenn man ihre gegenwärtige Verdrecktheit außer Acht ließ, sodass man sich fragte, wie sie je an Harold und seine Spießgesellen geraten war. Ihre Lebensweise und der Stil der Zeit mussten sie fünfzehn oder zwanzig Pfunde ihres Normalgewichts gekostet haben – aber sie war nicht groß und eigentlich auch nicht knabenhaft. Ihrer Natur nach war sie ein knuddeliges, dralles Mädchen, ein herziges Dickerchen.
    »Herb war bescheuert, Sie da so reinzubringen«, sagte sie. »Herb hat ’ne Schraube locker.«
    Eve sagte: »Das dachte ich mir.«
    »Ich weiß nicht, was er da macht, ich glaube, er arbeitet für Harold. Und Harold behandelt ihn wie Sau.«
    Eve war fest davon überzeugt, keinerlei sexuelle Neigungen zu Frauen zu

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