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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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häufig trieben, lebten für nichts anderes. Sie fühlten sich so wohl dabei, daß sie wie ein Grab schwiegen, da sie wußten, daß ihr Leben von der Diskretion abhängig war. Sie sprachen niemals über ihre Heldentaten, vertrauten sich niemandem an, gaben sich zerstreut, bis sie in den Ruf kamen, impotent, frigide oder aber, wie im Fall von Florentino Ariza, verkappte Schwule zu sein. Doch sie gefielen sich in dieser Fehleinschätzung, da sie ihnen auch Schutz gewährte. Sie bildeten eine verschworene Geheimloge, deren Mitglieder einander auf der ganzen Welt, ohne eine gemeinsame Sprache zu benötigen, erkannten. So überraschte Florentino Ariza die Antwort des Mädchens nicht: Sie gehörte dazu und wußte daher auch, daß er wußte, daß sie es wußte. Es war der Irrtum seines Lebens, und sein Gewissen sollte ihn täglich und stündlich daran erinnern. Denn das, worum sie ihn bitten wollte, war nicht Liebe, schon gar nicht käufliche Liebe, sondern irgendeine Arbeit, welche auch immer, bei der Karibischen Flußschiffahrtskompanie. Florentino Ariza war so beschämt von seinem eigenen Verhalten, daß er sie zum Personalchef mitnahm und dieser ihr dann einen niederen Posten in der Allgemeinen Abteilung gab, wo sie ernsthaft, bescheiden und aufopferungsvoll drei Jahre lang arbeitete.
    Seit ihrer Gründung lagen die Büros der K. F. K. gegenüber vom Kai des Flußhafens, der weder etwas mit dem Überseehafen am anderen Ende der Bucht noch mit der Anlegestelle des Marktes in der Bucht von Las Ànimas zu tun hatte. Sie befanden sich in einem Holzgebäude mit einem Satteldach aus Zinkplatten, an dessen Fassade sich ein einziger langer Balkon entlangzog, an den vier Seiten gab es mehrere drahtvergitterte Fenster, durch die die Schiffe am Kai wie Bilder an der Wand zu sehen waren. Als die deutschen Vorbesitzer das Gebäude errichtet hatten, waren die Zinkdächer rot und die Holzwände leuchtend weiß gestrichen gewesen, so daß der Bau selbst fast wie ein Flußdampfer aussah. Später wurde alles blau gestrichen, und zu der Zeit, als Florentino Ariza in der Firma zu arbeiten begann, war das Gebäude ein staubiger Schuppen von undefinierbarer Farbe, auf dessen rostigen Dachplatten sich die Flicken aus neueren Weißblechstücken abhoben. Hinter dem Gebäude, in einem gekalkten und mit Maschendraht umzäunten Hof, standen zwei große Lagerschuppen neueren Datums, und ganz am Ende lag ein toter Wasserarm, schmutzig und übelriechend, in dem die Abfälle von einem halben Jahrhundert Flußschiffahrt dahinfaulten: die Wracks historischer Schiffe, von den primitiven mit einem einzigen Schornstein, die noch von Simon Bolivar eingeweiht worden waren, bis hin zu ein paar neueren Dampfern, die sogar schon elektrische Ventilatoren in den Kabinen hatten. Die meisten von ihnen waren verschrottet worden, damit man das Material auf anderen Schiffen verbauen konnte, viele aber waren noch in einem so guten Zustand, daß es denkbar schien, sie mit einem neuen Anstrich auf Fahrt zu schicken, ohne erst die Leguane zu verscheuchen oder die wuchernden Pflanzen mit den großen gelben Blüten abzuhacken, die den Schiffen ein noch nostalgischeres Aussehen verliehen.
    Im ersten Stock des Gebäudes war die Verwaltungsabteilung in kleinen, aber bequemen und wie Schiffskabinen ausgestatteten Büros untergebracht, die nicht von Architekten, sondern von Schiffsingenieuren entworfen worden waren. Am Ende des Gangs arbeitete Onkel Leon XII. wie jeder Angestellte in einem Büro wie alle anderen auch, mit dem einzigen Unterschied, daß er morgens eine Glasvase mit irgendwelchen wohlriechenden Blumen auf seinem Schreibtisch vorfand. Im Erdgeschoß war die Passagierabteilung, der Wartesaal mit einfachen Bänken und einer Theke für die Ausgabe der Fahrscheine und die Abfertigung des Gepäcks. Ganz hinten lag die Allgemeine Abteilung, deren Name schon etwas von der Unbestimmtheit ihrer Aufgaben verriet. Dort versandeten Problemfälle, die im übrigen Unternehmen ungelöst geblieben waren. Und dort saß auch Leona Cassiani, verloren hinter einem Schulpult, zwischen Haufen aufgeschichteter Maissäcke und lauter Papieren, die nicht zu erledigen waren, bis eines Tages der Onkel Leon XII. persönlich auftauchte, um sich, zum Teufel noch mal, etwas für die Allgemeine Abteilung einfallen zu lassen, damit aus dieser etwas Nützliches würde. Nach drei Stunden Fragen, theoretischen Erörterungen und konkreten Erkundigungen unter den vollzählig versammelten Angestellten

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