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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Ort. Sie war dynamisch, schweigsam und von einer sanften Klugheit. Wenn es aber nötig war, zeigte sie, so leid es ihr auch tat, ihren wahren Charakter, und der war stahlhart. Sie setzte ihn aber nie für sich selbst ein. Ihr einziges Ziel war, Florentino Ariza um jeden Preis die Stufen zum Erfolg freizuräumen, und sei es mit Blut, damit er so weit aufsteigen konnte, wie er sich es selbst, die eigene Kraft überschätzend, vorgenommen hatte. Sie hätte es so oder so getan, denn ihr Drang zur Macht war unbezähmbar, Tatsache aber ist, daß sie es bewußt nur aus Dankbarkeit tat. Sie ging so zielstrebig vor, daß selbst Florentino Ariza die Übersicht über ihre Machenschaften verlor und in einem glücklosen Augenblick versuchte, ihr den Weg abzuschneiden, weil er glaubte, sie versuche es bei ihm. Leona Cassiani verwies ihn an seinen Platz:
    »Irren Sie sich nicht«, sagte sie zu ihm. »Ich zieh mich aus all dem hier zurück, wann immer Sie wollen, aber überlegen Sie es sich gut.«
    Florentino Ariza, der es sich tatsächlich nicht überlegt hatte, überlegte es sich nun, so gut er konnte, und streckte die Waffen vor ihr. Bei jenem schmutzigen Krieg in einer ständig von Krisen geschüttelten Firma, aufgerieben von den Verstrickungen bei seiner ruhelosen Falkenjagd und der immer ungewisseren Hoffnung auf Fermina Daza, hatte der unerschütterliche Florentino Ariza tatsächlich keinen Augenblick des inneren Friedens gehabt angesichts des faszinierenden Schauspiels, das diese mutige Schwarze, beschmutzt von Scheiße und Liebe, im Kampffieber bot. Das ging so weit, daß es ihn manchmal insgeheim schmerzte, daß sie nicht das war, was er an jenem Abend geglaubt hatte, als er sie kennenlernte, dann hätte er sich nämlich mit seinen Prinzipien den Arsch abwischen und mit ihr vögeln können, und sei es für Klumpen reinen Goldes. Denn Leona Cassiani sah immer noch so aus wie an jenem Nachmittag in der Straßenbahn, sie trug die gleichen aufreizenden Kleider einer entlaufenen Negersklavin, ihre verrückten Turbane, ihre Ohrringe und ihre beinernen Armreifen, reihenweise Ketten und an jedem Finger Ringe mit falschen Steinen: eine Löwin der Straße. Die Jahre hatten ihr äußerlich nur gut getan. Sie glitt in einer glänzenden Reife dahin, ihre weiblichen Reize waren noch beunruhigender, und ihre körperliche Ausstrahlung einer Afrikanerin hatte sich noch verdichtet. Florentino Ariza hatte zehn Jahre lang keinen weiteren Annäherungsversuch bei ihr gemacht, so hart büßte er seinen ursprünglichen Irrtum ab, und sie hatte ihm bei allem geholfen, nur darin nicht.
    Eines Nachts, als er bis spät gearbeitet hatte, wie er es nach dem Tod seiner Mutter häufig tat, sah er im Hinausgehen Licht in Leona Cassianis Büro. Er öffnete ohne Anklopfen die Tür, und da saß sie: allein am Schreibtisch, vertieft, ernsthaft, mit einer neuen Brille, die ihrem Gesicht etwas Akademisches gab. Florentino Ariza wurde in einem seligen Schauer gewahr, daß sie beide allein im Hause waren, die Molen lagen verlassen da, die Stadt schlief, auf dem finsteren Meer ruhte ewige Nacht, traurig tutete ein Schiff, das noch über eine Stunde entfernt war. Florentino Ariza stützte sich mit beiden Händen auf den Regenschirm, so wie er es in der Gasse El Candilejo getan hatte, um ihr den Weg zu versperren, nur tat er es jetzt, damit sie nicht bemerkte, wie weich seine Knie waren.
    »Sag mir eins, Löwin meines Herzens«, sagte er, »wann finden wir hier endlich heraus?«
    Sie nahm ohne jede Überraschung die Brille ab, vollkommen beherrscht, und blendete ihn mit ihrem Sonnenlächeln. Sie hatte ihn nie geduzt.
    »Ach, Florentino Ariza«, sagte sie, »seit zehn Jahren sitze ich nun schon hier und warte darauf, daß du mich das fragst.« Nun war es zu spät: Die Möglichkeit hatte sie in der Maultierbahn begleitet, hatte stets mit ihr zusammen auf eben dem Stuhl, auf dem sie jetzt saß, gesessen, doch jetzt war sie für immer gegangen. Die Wahrheit war, daß sie ihn, nach so vielen insgeheim für ihn begangenen Hundsföttereien, nach so vieler für ihn erledigter Schmutzarbeit, im Leben überholt und ihn nun trotz der zwanzig Jahre, die er ihr voraus war, weit hinter sich gelassen hatte: Sie war für ihn gealtert. Sie liebte ihn so sehr, daß sie es vorzog, ihn weiter zu lieben, statt ihn zu täuschen, auch wenn sie ihm das auf brutale Weise beibringen mußte.
    »Nein«, sagte sie. »Das wäre für mich, als schliefe ich mit dem Sohn, den ich nie gehabt habe.«

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