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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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ersehne, bis sie, ohne auf irgend jemand zu warten, aufgab, sich in einer jubelnden Explosion des endgültigen Sieges, die die Welt erbeben ließ, allein in ihren Abgrund stürzte. Florentino Ariza blieb erschöpft, unvollkommen zurück, er trieb in der Lache ihres gemeinsamen Schweißes mit dem Gefühl, nichts weiter als ein Werkzeug der Lust zu sein. Er sagte: »Du gehst mit mir um, als sei ich einer mehr.« Sie stieß ihr Lachen eines freien Weibes aus und sagte: »Ganz im Gegenteil: als ob du nur einer weniger wärest.« So blieb ihm der Eindruck, daß sie in geizender Gier alles an sich riß, sein Stolz begehrte auf, und er verließ das Haus mit dem Entschluß, nicht wiederzukommen. Doch irgendwann wachte er plötzlich grundlos auf, mit dieser ungeheuren Scharfsicht der Einsamkeit inmitten der Nacht, und die Erinnerung an die selbstversunkene Liebe von Ausencia Santander offenbarte sich ihm als das, was sie war: eine Leimrute des Glücks. Er verabscheute und begehrte diese Frau zugleich, und es gab kein Entkommen.
    An irgendeinem Sonntag, zwei Jahre nachdem sie sich kennengelernt hatten, nahm sie ihm, als er kam, statt ihn auszuziehen, zuerst die Brille ab, um ihn besser küssen zu können, und auf diese Weise erfuhr Florentino Ariza, daß sie begonnen hatte, ihn zu lieben. Obwohl er sich vom ersten Tag an in diesem Haus, das er nun schon wie sein eigenes liebte, so wohl gefühlt hatte, war er niemals länger als zwei Stunden dort geblieben, keinmal zum Schlafen und nur einmal zum Essen, weil sie ihn in aller Form dazu eingeladen hatte. Er kam tatsächlich nur, um das zu tun, weshalb er kam, brachte als einziges Geschenk stets eine einzelne Rose mit und verschwand dann bis zur nächsten unvorhersehbaren Gelegenheit. An dem Sonntag aber, als sie ihm, um ihn zu küssen, die Brille abgenommen hatte, verbrachten sie, teils aus diesem Grund, teils weil sie nach geruhsamer Liebe eingeschlafen waren, den ganzen Nachmittag zusammen im riesigen Bett des Kapitäns. Als er von der Siesta aufwachte, hatte Florentino Ariza noch die Erinnerung an das Kreischen des Kakadus im Ohr, dessen blecherne Schrille in umgekehrtem Verhältnis zu dessen Schönheit stand.
    Doch die Stille war durchsichtig in der Vier-Uhr-nachmittags-Hitze, und im Fenster des Schlafzimmers konnte man im Gegenlicht der Nachmittagssonne die Silhouette der Altstadt mit ihren vergoldeten Kuppeln sehen, das Meer stand bis Jamaika in Flammen. Ausencia Santander streckte die abenteuerlustige Hand aus, um das ruhende Tier zu ertasten, doch Florentino Ariza schob sie beiseite. »Nicht jetzt«, sagt er, »ich habe ein seltsames Gefühl, als würden wir beobachtet.« Sie störte den Kakadu abermals mit ihrem glücklichen Lachen auf. »Diese Ausrede schluckt nicht einmal Jonas' Weib.« Sie also schon gar nicht, nahm sie jedoch als eine gute Ausrede hin, und beide liebten sich eine ganze Weile schweigend, ohne das Liebesspiel wieder zu beginnen. Um fünf Uhr, die Sonne stand noch hoch, sprang sie, nackt bis in die Ewigkeit und mit dem Organdyband im Haar, aus dem Bett und wollte in der Küche etwas zu trinken holen. Doch noch bevor sie einen Schritt aus dem Schlafzimmer getan hatte, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus. Sie wollte es nicht glauben. Das einzige, was sich noch im Haus befand, waren die Deckenlampen. Alles übrige, die Möbel von Meisterhand, die indischen Teppiche, die Statuen und Gobelins, die unzähligen Nippes aus Edelsteinen, Gold und Silber, alles, was aus ihrem Haus eines der wohnlichsten und besteingerichteten der Stadt gemacht hatte, alles, selbst der heilige Kakadu, war verschwunden. Man hatte das Inventar, ohne sie bei der Liebe zu stören, über die Terrasse zum Meer abgeschleppt. Zurückgeblieben waren die leeren Räume mit den vier geöffneten Fenstern und ein breit auf die Rückwand gepinselter Spruch: »Das kommt vom Ficken.« Kapitän Rosendo de la Rosa konnte nicht begreifen, warum Ausencia Santander weder den Diebstahl anzeigte noch versuchte, Verbindung mit den Hehlern aufzunehmen, und auch nicht zuließ, daß je wieder über ihr Mißgeschick gesprochen wurde.
    Florentino Ariza besuchte sie auch weiterhin in dem ausgeplünderten Haus, dessen Mobiliar sich auf drei Lederhocker beschränkte, die von den Dieben in der Küche vergessen worden waren, und auf das Schlafzimmer, in dem sie sich aufgehalten hatten. Aber er besuchte sie nicht mehr so häufig wie früher, nicht wegen der Trostlosigkeit des Hauses, wie sie annahm und ihm

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