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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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sie bis auf die Zisternen durchsucht hatten. Es war nicht leicht, sie abzuführen. Sie wehrte sich mit einer Gartenschere, die sie im Mieder verborgen hatte, und sechs Männer waren nötig, um ihr die Zwangsjacke unter begeistertem Klatschen und Pfeifen der auf der Plaza de la Aduana zusammengeballten Menschenmenge anzulegen, die glaubte, die blutige Festnahme sei eine der vielen Farcen des Karnevals. Florentino Ariza war innerlich zerrissen, und vom Aschermittwoch an lief er mit einer Schachtel englischer Pralinen vor der Anstalt Divina Pastora auf der Straße auf und ab. Er blieb immer wieder stehen, um die Insassinnen an den Fenstern zu beobachten, die ihm, durch seine Pralinenschachtel in Unruhe versetzt, allerlei Unflätigkeiten und Schmeicheleien zuriefen, und hoffte, daß auch die Gesuchte durch die Gitterstäbe hinausschauen könnte. Doch er sah sie nie. Monate später, er stieg eben aus der Maultierbahn, bettelte ihn ein kleines Mädchen, das mit seinem Vater unterwegs war, um eine Schokoladenkugel aus der Schachtel an, die er in der Hand hielt. Der Vater wies das Kind zurecht und bat Florentino Ariza um Entschuldigung. Er aber gab dem Kind die ganze Schachtel und dachte, daß diese Geste ihn von aller Bitterkeit erlösen könnte. Den Vater beruhigte er, indem er ihm leicht auf die Schulter klopfte. »Das war für eine Liebe, die zum Teufel ist.« Wie eine Entschädigung des Schicksals war, daß Florentino Ariza in der Maultierbahn auch Leona Cassiani kennenlernte, die wahre Frau seines Lebens, obwohl weder er noch sie das je wußten und sie nie miteinander schliefen. Er hatte sie auf der Heimfahrt in der Fünf-Uhr-Straßenbahn regelrecht erspürt, bevor er sie sah. Es war ein körperlicher Blick, der ihn wie ein Finger berührt hatte. Er hob die Augen und sah sie, die sich am anderen Ende deutlich von den übrigen Fahrgästen abhob. Sie wandte den Blick nicht ab. Im Gegenteil, sie hielt dem seinen mit einer solchen Schamlosigkeit stand, daß er nichts anderes denken konnte als das, was er dachte: schwarz, jung, hübsch, aber zweifellos eine Nutte. Er schloß sie aus seinem Leben aus, denn er konnte sich nichts Unwürdigeres vorstellen, als für die Liebe zu zahlen. Das tat er nie.
    Florentino Ariza stieg an der Plaza de los Coches, der Endstation der Straßenbahn, aus und machte sich hastig durch das Labyrinth der kleinen Geschäfte davon, da seine Mutter ihn um sechs Uhr erwartete. Als er dann aus der Menge wieder auftauchte, hörte er hinter sich auf dem Pflaster das Geklapper der Absätze einer leichten Frau, und er schaute zurück, um sich von dem zu überzeugen, was er schon wußte: Sie war es. Sie war wie die Sklavinnen auf alten Stichen angezogen, trug einen Volantrock, den sie mit einer Gebärde wie beim Tanz hob, um über die Pfützen zu schreiten, hatte einen Ausschnitt, der die Schultern freiließ, mehrere Reihen bunter Ketten und einen weißen Turban. Er kannte diese Sorte aus dem Stundenhotel. Bei ihnen kam es häufig vor, daß sie um sechs Uhr abends noch beim Frühstück saßen und ihnen dann nichts anderes übrig blieb, als ihre Reize so zu benutzen wie ein Straßenräuber sein Messer, sie trieben damit den ersten, dem sie auf der Straße begegneten, in die Enge: Schwanz oder Leben. Auf der Suche nach einem endgültigen Beweis änderte Florentino Ariza die Richtung und bog in die leere El Candilejo-Gasse ein. Die Frau folgte ihm in immer kürzerem Abstand. Da blieb er stehen, drehte sich um, stützte sich mit beiden Händen auf seinen Regenschirm und schnitt ihr so auf dem Gehsteig den Weg ab. Kurz vor ihm blieb sie stehen.
    »Du irrst dich, meine Hübsche«, sagte er, »ich gebe nichts her.«
    »Aber gewiß doch«, sagte sie, »das sieht man dir an.« Florentino Ariza mußte an einen Ausspruch seines Patenonkels, des Hausarztes der Familie, denken, den er als Kind im Zusammenhang mit seiner chronischen Verstopfung gehört hatte: »Die Welt teilt sich in solche, die gut scheißen, und solche, die schlecht scheißen.« Auf diesem Dogma hatte der Arzt eine ganze Charaktertheorie aufgebaut, die er für treffsicherer hielt als die Astrologie. Mit den Lehren der Jahre stellte Florentino Ariza jedoch eine andere These auf: »Die Welt teilt sich in solche, die vögeln, und solche, die nicht vögeln.« Letzteren mißtraute er. Wenn sie aus dem Gleis gerieten, war es für sie etwas so Ungewöhnliches, daß sie sich mit der Liebe brüsteten, als hätten sie die soeben erfunden. Jene aber, die es

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