Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Kamelie, die kraft seiner Aufregung im Knopfloch des Revers pulsierte, sah Florentino Ariza, wie Fermina Daza am Abend des ersten Wettbewerbs die drei versiegelten Umschläge auf der Bühne des alten Nationaltheaters öffnete. Er fragte sich, was in ihrem Herzen geschähe, sollte sie entdecken, daß er der Gewinner der goldenen Orchidee war. Er war sich sicher, daß sie die Schrift erkennen würde und in dem Augenblick dann der Sticknachmittage unter den Mandelbäumen des kleinen Platzes gedenken würde, des Duftes der welken Gardenien in seinen Briefen, des vertrauten Walzers an die bekränzte Göttin in den windigen Stunden des Morgengrauens. Nichts dergleichen geschah. Schlimmer noch: Die Goldene Orchidee, die begehrteste Auszeichnung der nationalen Poesie, wurde einem chinesischen Einwanderer zuerkannt. Der öffentliche Skandal, den jene unerhörte Entscheidung hervorrief, brachte den Poesiewettbewerb ins Zwielicht. Die Jury hatte jedoch gerecht und einstimmig entschieden und konnte sich mit dem ausgezeichneten Sonett rechtfertigen.
Niemand glaubte, daß der prämiierte Chinese der Verfasser war. Er war gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts auf der Flucht vor der Geißel des Gelbfiebers, das Panama während des Baus der Eisenbahn von Ozean zu Ozean heimgesucht hatte, ins Land gekommen, gemeinsam mit vielen anderen, die bis zu ihrem Tod hier blieben, chinesisch lebten, sich chinesisch vermehrten und einander so ähnlich sahen, daß niemand sie auseinanderhalten konnte. Am Anfang waren es nicht mehr als zehn gewesen, einige von ihnen hatten ihre Frauen, ihre Kinder und ihre eßbaren Hunde dabei, aber nach wenigen Jahren hatten sie dank neuer, unerwarteter Chinesen, die, ohne Spuren in den Zollarchiven zu hinterlassen, ins Land kamen, die vier Gassen des Hafenviertels überschwemmt. Manche der jungen Männer verwandelten sich mit solcher Eile in ehrwürdige Patriarchen, daß niemand sich erklären konnte, woher sie die Zeit nahmen zu altern. Das Volksempfinden teilte sie in zwei Klassen ein: die bösen Chinesen und die guten Chinesen. Die bösen waren die der finsteren Hafenkneipen, wo man wie ein König speisen, aber auch plötzlich am Tisch bei einem Gericht aus Rattenfleisch und Sonnenblumen sterben konnte. Diese Lokale standen in dem Ruf, nur Deckadressen für Mädchenhandel und Schiebergeschäfte zu sein. Die guten Chinesen waren die in den Wäschereien. Diese Erben einer heiligen Wissenschaft lieferten die Hemden sauberer ab als neu und mit Kragen und Manschetten wie frischgepreßte Hostien. Es war einer dieser guten Chinesen, der bei dem Dichterwettbewerb der Blumenspiele zweiundsiebzig gut gerüstete Rivalen schlug. Niemand verstand den Namen, als Fermina Daza ihn unsicher vorlas. Nicht nur, weil es ein ungewöhnlicher Name war, sondern weil sowieso niemand genau wußte, wie die Chinesen heißen. Doch man mußte nicht lange darüber grübeln, da der preisgekrönte Chinese hinten aus dem Parkett mit jenem engelhaften Lächeln auftauchte, das die Chinesen an sich haben, wenn sie früh nach Hause kommen. Er war so siegessicher gewesen, daß er zur Entgegennahme des Preises im gelben Seidenhemd der Frühlingsfeste gekommen war. Er nahm die Goldene Orchidee, achtzehn Karat, entgegen und küßte sie selig, umtost vom Spott der Ungläubigen. Er ließ sich nicht stören. Er wartete mitten auf der Bühne, unbeirrbar, wie der Apostel einer Göttlichen Vorsehung, die weniger dramatisch als die unsere vorgeht, und las in der ersten Stille das prämiierte Gedicht. Niemand verstand ihn. Als dann eine erneute Woge des Spotts verebbt war, las es Fermina Daza noch einmal mit ihrer heiseren, verlockenden Stimme, und vom ersten Vers an erfüllte Staunen den Saal. Es war ein Sonett reinsten parnassischen Stils, vollkommen gearbeitet und vom Hauch einer Inspiration durchweht, die das Wirken von Meisterhand verriet. Die einzige mögliche Erklärung war, daß einer der großen Dichter sich jenen Scherz ausgedacht haben könnte, um sich über die Blumenspiele lustig zu machen, und daß der Chinese, entschlossen, das Geheimnis mit in den Tod zu nehmen, sich dazu hergegeben hatte. El Diario del Comercio, unsere traditionsreichste Zeitung, bemühte sich, die Ehre der Stadt mit einem gelehrsamen und eher unverdaulichen Essay über die alte Tradition und den kulturellen Einfluß der Chinesen in der Karibik zu retten und betonte deren verdientes Recht, an den Blumenspielen teilzunehmen. Der Verfasser des Aufsatzes zweifelte nicht
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