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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Lust verschafft hatten, akzeptierte sie ihn als das, was er in Wirklichkeit war: ein Gelegenheitsfreier. Er tauchte schließlich zu jeder Tageszeit in ihrer Wohnung auf, vor allem sonntags morgens, das waren die geruhsamsten Stunden. Sie ließ dann stehen und liegen, was immer sie gerade tat, und widmete sich mit ganzem Leib dem Versuch, ihn in dem riesigen verschnörkelten Bett glücklich zu machen, das stets für ihn bereit stand und in dem sie niemals liturgische Formalien duldete. Florentino Ariza konnte flicht begreifen, wie eine Ledige ohne Vergangenheit in Männersachen so weise sein konnte und wie sie es schaffte, ihren sanften Körper mit soviel Leichtigkeit und Zärtlichkeit wie ein Tümmler im Wasser zu bewegen. Sie verteidigte sich damit, daß die Liebe mehr als alles andere eine natürliche Gabe sei. Sie sagte: »Entweder wird man wissend geboren, oder man lernt es nie.« Florentino Ariza wand sich nachträglich vor Eifersucht, er meinte, sie habe sich vielleicht doch mehr herumgetrieben, als sie zugab, mußte aber solche Gefühle hinunterschlucken, da er schließlich ihr wie allen anderen gesagt hatte, sie sei seine erste und einzige Geliebte. Er mußte sich auch mit anderen Dingen abfinden, die ihm noch weniger gefielen, so mit der wildgewordenen Katze im Bett, der Sara Noriega die Krallen abfeilte, die sie ihnen sonst während der Liebe ins Fleisch geschlagen hätte. Fast ebensogern wie bis zur Erschöpfung im Bett zu toben, huldigte sie nach der Liebe ermattet der Poesie. Sie hatte nicht nur ein erstaunliches Gedächtnis für die sentimentale Lyrik ihrer Zeit, die für zwei Centavos als lose Blätter auf der Straße verkauft wurde, sondern heftete die Gedichte, die ihr am besten gefielen, auch mit Stecknadeln an die Wand, um sie jederzeit mit erhobener Stimme vorlesen zu können. Sie hatte von den Bürgerkundetexten eine Version in Elfsilbern gereimt, ähnlich jener, die für die Rechtschreibung an den Schulen benutzt wurde, konnte jedoch nicht die offizielle Zulassung für den Unterricht durchsetzen. Ihre deklamatorischen Anfälle waren so heftig, daß sie manchmal, noch während sie sich liebten, schreiend weiterrezitierte und Florentino Ariza ihr gewaltsam den Schnuller in den Mund schieben mußte, wie man es bei Kindern macht, die aufhören sollen zu weinen.
    In der Blütezeit ihrer Beziehung hatte sich Florentino Ariza gefragt, welcher der beiden Zustände denn Liebe sei, der turbulente im Bett oder der geruhsame an den Sonntagnachmittagen, und Sara Noriega beruhigte ihn mit dem einfachen Argument, alles, was sie nackt machten, sei Liebe. Sie sagte: »Seelische Liebe von der Taille aufwärts und körperliche Liebe von der Taille abwärts.« Diese Definition erschien ihr wie geschaffen für ein Gedicht über die aufgeteilte Liebe, das sie vierhändig schrieben und das Sara Noriega unter ihrem Namen bei den fünften Blumenspielen einreichte, in der Überzeugung, daß bis dahin noch niemand ein so originelles Gedicht eingesandt hatte. Doch wieder ging sie leer aus. Als Florentino Ariza sie danach heimbegleitete, war sie wütend. Aus einem unerklärlichen Grund war sie davon überzeugt, daß nur wegen einer Intrige von Fermina Daza ihr Gedicht nicht prämiiert worden war. Florentino Ariza hörte ihr nicht richtig zu. Er war seit der Übergabe des Preises in düsterer Stimmung, denn er hatte Fermina Daza lange nicht gesehen, und an jenem Abend schien ihm nun, daß sie einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht hatte. Zum ersten Mal sah man ihr auf einen Blick an, daß sie Mutter war. Für ihn war das keine Neuigkeit, denn er wußte, daß der Sohn bereits zur Schule ging. Zuvor war ihm jedoch ihre mütterliche Reife nie so offenkundig erschienen wie an jenem Abend, einmal wegen ihres Taillenumfangs und ihren ein wenig kurzatmigen Schritten, aber auch wegen der Brüche in ihrer Stimme, als sie die Liste der Preisträger verlas. Auf der Suche nach Dokumenten, die seine Erinnerungen belegten, blätterte er, während Sara Noriega etwas zum Essen zubereitete, wieder in den Alben der Blumenspiele. Er sah Bilder aus Zeitschriften, vergilbte Erinnerungspostkarten, wie sie an den Portalen verkauft wurden, und es war für ihn so etwas wie ein gespenstischer Rückblick auf den Trugschluß seines eigenen Lebens. Bis dahin hatte ihn die Fiktion aufrechterhalten, daß es die Welt war, die vorüberging, die Sitten gingen vorüber, die Mode: alles außer Fermina Daza.
    Doch in jener Nacht sah er zum erstenmal bewußt,

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