Die Liebe in den Zeiten der Cholera
des ersten Mals beherrscht war, wagte nun, ihr mit den Fingerkuppen sacht den Hals zu streicheln, woraufhin sie sich wimmernd wie ein schmollendes kleines Mädchen wand, aber nicht aufhörte zu weinen. Da küßte er sie an die gleiche Stelle, sanft wie zuvor mit den Fingern, und kam nicht dazu, es ein zweites Mal zu tun, da sie ihren gewaltigen und begehrlich heißen Leib ganz zu ihm herüberwälzte und beide umarmt auf den Boden rollten. Die Katze auf dem Sofa wachte mit einem Kreischen auf und sprang auf sie. Sie suchten sich tastend wie eilige Anfänger und fanden sich irgendwie, wälzten sich auf den auseinanderfallenden Alben, noch angezogen, durchgeschwitzt und mehr darauf bedacht, den wütenden Krallen der Katze zu entgehen, als auf die mißlingenden Umarmungen zu achten. In der Nacht darauf trieben sie es mit noch blutenden Wunden und dann immer wieder, mehrere Jahre lang. Als er einsah, daß er sie zu lieben begonnen hatte, war sie bereits Mitte vierzig, und sein dreißigster Geburtstag stand bevor. Sie hieß Sara Noriega und hatte in ihrer Jugend ein Quentchen Ruhm erhascht, als sie mit einer Gedichtsammlung über die Liebe der Armen, die nie veröffentlicht wurde, einen Wettbewerb gewann. Sie war Lehrerin für Bürgerkunde an staatlichen Schulen und lebte von ihrem Gehalt in einem Mietshaus des buntgemischten Pasaje de los Novios im alten Getsemani-Viertel. Sie hatte gelegentlich Liebhaber gehabt, doch keinen mit Heiratsambitionen, da ein Mann aus ihren Kreisen und ihrer Zeit schwerlich eine Frau heiratete, mit der er geschlafen hatte. Auch nährte sie solche Hoffnungen nicht mehr, nachdem ihr erster offizieller Verlobter, den sie mit der an Wahnsinn grenzenden Leidenschaft ihrer achtzehn Jahre geliebt hatte, sich eine Woche vor dem Hochzeitstermin abgesetzt und sie allein in der Vorhölle der hintergangenen Bräute - oder der benutzten Ledigen, wie man damals sagte - zurückgelassen hatte. Von dieser ersten, grausamen und flüchtigen Erfahrung blieb ihr dennoch keinerlei Bitterkeit, sondern die leuchtende Gewißheit, daß sich das Leben - mit oder ohne Ehe, ohne Gott oder ohne Gesetz - nur lohnt, wenn man einen Mann im Bett hat. Am besten gefiel Florentino Ariza an ihr, daß sie, um beim Liebesakt die höchste Wonne zu erreichen, an einem Schnuller saugen mußte. Sie hatten schließlich ein ganzes Arsenal von allen auf dem Markt erhältlichen Größen, Formen und Farben zusammen, und Sara Noriega hängte sie ans Kopfende des Bettes, um sie in den Augenblicken größter Not auch blind zu finden.
Obwohl sie so frei war wie er und vielleicht nichts dagegen gehabt hätte, daß ihr Verhältnis publik wurde, legte es Florentino Ariza von Anfang an als heimliches Abenteuer an. Er schlüpfte fast immer erst spät in der Nacht durch den Dienstboteneingang herein und verschwand kurz vor Morgengrauen auf Zehenspitzen. Sowohl er wie sie wußten, daß in einem Haus, in dem so viele Menschen wohnten wie in jenem, die Nachbarn schließlich und endlich besser Bescheid wissen mußten, als sie vorgaben. Aber auch wenn es nicht mehr als eine Formalität war, es war nun einmal Florentino Arizas Art und sollte es den Rest seines Lebens über bleiben. Er machte nie einen Fehler, weder bei ihr noch bei anderen, und beging niemals eine Indiskretion. Er übertrieb nicht: Nur bei einer einzigen Gelegenheit hatte er eine kompromittierende Spur oder etwas Schriftliches hinterlassen, und das hätte ihn das Leben kosten können. Immer verhielt er sich so, als sei er tatsächlich auf ewig Fermina Dazas Mann, ein untreuer, aber beharrlicher Ehemann, der pausenlos darum kämpfte, sich von seinen Fesseln zu befreien, ihr jedoch nicht den Ärger eines Ehebruchs zumuten wollte. Eine derartige Verschlossenheit mußte Fehlschlüsse in Kauf nehmen. Selbst Tránsite Ariza starb in der Überzeugung, daß der in Liebe gezeugte und für die Liebe aufgezogene Sohn seit seiner unglücklichen Jugenderfahrung gegen jede Art von Liebe immun sei. Weniger gutwillige Personen, die ihn näher kannten und von seinem geheimnistuerischen Wesen und seiner Schwäche für wunderliche Kleidung und seltsame Lotionen wußten, hatten den Verdacht, daß er zwar nicht gegen die Liebe, wohl aber gegen Frauen immun sei. Florentino Ariza war das bekannt, doch unternahm er nie etwas, um es richtig zu stellen. Auch Sara Noriega kümmerte sich nicht darum. Wie die anderen unzähligen Frauen, die er geliebt hatte, und selbst diejenigen, die, ohne ihn zu lieben, sich und ihm
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