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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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ohne Bedingungen herein.
    So kam er völlig unvorbereitet in das Heiligtum einer noch vor der Blüte gewelkten Liebe. Leona Cassianis Eltern waren gestorben, ihr einziger Bruder hatte in Curacao ein Vermögen gemacht, und nun lebte sie allein in ihrem Elternhaus. Jahre zuvor, als er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, sie zu seiner Geliebten zu machen, hatte Florentino Ariza sie mit Erlaubnis ihrer Eltern gewöhnlich sonntags besucht, manchmal auch abends, bis spät in die Nacht hinein, und dabei nach und nach so viel zur Einrichtung des Hauses beigetragen, daß er sich dort wie in seinem eigenen fühlte. In jener Nacht nach dem Kinobesuch hatte er jedoch das Gefühl, als sei der Salon von der Erinnerung an ihn gereinigt worden. Die Möbel waren umgestellt, an den Wänden hingen andere Bilder, und er dachte, so viele einschneidende Veränderungen könnten nur absichtlich vorgenommen worden sein, um die Gewißheit zu verewigen, daß es ihn nie gegeben habe. Die Katze erkannte ihn nicht wieder. Erschreckt von der Gewalt des Vergessens sagte er: »Sie kann sich nicht mehr an mich erinnern.« Leona Cassiani erwiderte, während sie mit dem Rücken zu ihm die Brandys einschenkte, falls ihm das Sorgen mache, könne er beruhigt schlafen, denn Katzen erinnerten sich an niemanden. Sie saßen nah nebeneinander zurückgelehnt auf dem Sofa und sprachen über sich, über das, was sie gewesen waren, bevor sie sich an einem Abend, wer wußte noch wann, in der Maultierbahn kennengelernt hatten. Sie verbrachten ihr Leben in angrenzenden Büros, hatten aber bis dahin kaum von etwas anderem als von der täglichen Arbeit gesprochen. Während sie sich nun unterhielten, legte Florentino Ariza ihr eine Hand auf den Oberschenkel, begann sie mit dem Feingefühl des durchtriebenen Verführers zu streicheln, und sie ließ ihn gewähren, antwortete ihm jedoch nicht einmal mit einem höflichen Erschauern. Erst als er weiter vordringen wollte, griff sie nach der forschenden Hand und küßte sie auf die Innenfläche.
    »Schön brav sein«, sagte sie. »Mir ist schon seit langem klar, daß du nicht der Mann bist, den ich suche.« Als sie noch sehr jung gewesen war, hatte ein starker und geschickter Mann, dessen Gesicht sie nie zu sehen bekommen hatte, sie auf den Klippen überrascht und überwältigt, ihr die Kleider in Fetzen vom Leib gerissen und sie rasch und ungestüm genommen. Mit zerschundener Haut hatte sie auf den Steinen gelegen und sich gewünscht, daß dieser Mann ewig bei ihr bliebe, um in seinen Armen vor Liebe zu sterben. Sie hatte sein Gesicht nicht gesehen, seine Stimme nicht gehört, war jedoch sicher, ihn unter Tausenden an seiner Gestalt und seinen Maßen und der Art seiner Liebe erkennen zu können. Seitdem hatte sie jedem, der es hören wollte, gesagt: »Solltest du einmal von einem großen starken Kerl hören, der ein armes schwarzes Mädchen von der Straße an einem fünfzehnten Oktober etwa um halbzwölf Uhr nachts auf dem Steilufer der Ertrunkenen vergewaltigt hat, dann sag ihm, wo er mich finden kann.« Sie sagte das immer noch, aus reiner Gewohnheit, und hatte es schon so vielen gesagt, daß ihr keine Hoffnung mehr bleiben konnte. Florentino Ariza hatte diese Geschichte oft von ihr gehört, gleichsam wie das Abschiedssignal eines Schiffes in der Nacht. Als es zwei Uhr morgens schlug, hatten beide je drei Brandys getrunken, und er wußte, daß er tatsächlich nicht der Mann war, auf den sie wartete, und er war froh, das zu wissen. »Bravo, Löwin«, sagte er, als er aufbrach, »wir haben den Tiger erlegt.«
    Es war nicht das einzige, was in jener Nacht zu Ende ging. Das bösartige Gerücht von der Schwindsüchtigenabteilung hatte ihn schon aus seiner Traumwelt gerissen, da es ihm zusammen mit der Erkenntnis von Fermina Dazas Sterblichkeit den unerträglichen Verdacht vermittelt hatte, sie könnte vor ihrem Mann sterben. Nachdem er sie nun am Kinoausgang stolpern gesehen hatte, ging er von sich aus einen weiteren Schritt auf den Abgrund zu, weil ihm plötzlich klargeworden war, daß nicht sie, sondern er selbst als erster sterben konnte. Dies war eine Vorahnung besonders beklemmender Art, da sie von der Wirklichkeit ausging. Die Jahre des reglosen Wartens und der glückversprechenden Hoffnungen hatte er hinter sich gelassen, am Horizont vor ihm zeichnete sich jedoch nichts anderes ab als das Meer der eingebildeten Krankheiten, des tröpfelnden Harns in schlaflosen Morgenstunden und des täglichen Todes in der

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