Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Sein einziger Trost war, daß die Beutegier der Glatze ihm keine Zeit ließ, das Grauwerden seines Haars zu erleben. Eines Tages wurde er, als er aus dem Büro kam, von einem der fröhlichen Trunkenbolde am Flußkai inniger umarmt als sonst, unter dem Gejohle der Stauer nahm ihm dieser den Hut ab, gab ihm einen schallenden Kuß auf den Schädel und schrie: »Was für ein göttlicher Glatzkopf!«
An jenem Abend, er war achtundvierzig Jahre alt, ließ er sich den spärlichen Flaum abschneiden, der ihm noch im Nacken und über den Ohren verblieben war, und nahm sein haarloses Schicksal an. Und zwar so gründlich, daß er sich nun jeden Morgen vor dem Bad nicht nur das Kinn, sondern auch die Schädelpartien, auf denen sich wieder Stoppeln zu zeigen begannen, einschäumte und alles mit seinem Barbiermesser glatt wie einen Kinderpopo rasierte. Damals nahm er den Hut nicht einmal mehr im Büro ab, da die Glatze ihm ein Gefühl von Nacktheit gab, das ihm anstößig erschien. Als er sich dann aber grundsätzlich mit seiner Kahlheit abgefunden hatte, schrieb er ihr männliche Tugenden zu, von denen er gehört hatte und die er bis dahin als Glatzkopfphantasien abgetan hatte. Später schloß er sich dann dem neuen Brauch an, die langen Schläfenhaare auf der rechten Seite über den Schädel zu legen, und blieb für immer dabei. Dennoch trug er auch weiterhin Hüte, und zwar stets im gleichen Trauerstil, selbst dann, als sich die Mode der Tortenhüte, wie man hier die Kreissägen nannte, durchsetzte. Am Verlust seiner Zähne war indes nicht ein natürliches Verhängnis, sondern die Stümperei eines fahrenden Zahnarztes schuld, der beschlossen hatte, eine gewöhnliche Infektion mit der Wurzel zu beseitigen. Seine Angst vor den pedalbetriebenen Zahnbohrern hatte Florentino Ariza trotz ständiger Schmerzen davon abgehalten, zum Zahnarzt zu gehen, bis er die Qualen nicht länger ertragen konnte. Seine Mutter war erschrocken, als sie nächtelang aus dem Nebenzimmer sein untröstliches Gewimmer hörte, erinnerte es sie doch an das aus jenen vergangenen Zeiten, die sich schon fast im Nebel ihrer Erinnerung aufgelöst hatten, aber als sie ihn den Mund öffnen ließ, um zu sehen, wo ihn die Liebe schmerzte, entdeckte sie, daß er unter eitrigen Fisteln litt. Onkel Leon XII. schickte ihn zu Doktor Francis Adonay, einem schwarzen Riesen in Gamaschen und Reithosen, der, die komplette Zahnarztausrüstung in einem Seesack verstaut, auf den Flußschiffen mitreiste und in den Städtchen am Flußlauf als eine Art Handlungsreisender des Schreckens auftauchte. Ein einziger Blick in Florentino Arizas Mund genügte ihm zu der Entscheidung, ihm alle, auch die gesunden, Zähne zu ziehen, um ihn ein für allemal vor neuen Übeln dieser Art zu bewahren. Anders als beim Haarausfall machte ihm diese Pferdekur keine Sorgen, sah man von der verständlichen Angst vor dem Massaker ohne Betäubung ab. Auch der Gedanke, ein künstliches Gebiß zu tragen, mißfiel ihm nicht, erstens, weil in einer seiner nostalgischen Kindheitserinnerungen sich ein Zauberkünstler auf dem Jahrmarkt Ober- und Untergebiß herausnahm, auf den Tisch legte und die Teile dort selbständig sprechen ließ, und zweitens, weil damit die Zahnschmerzen aufhörten, die ihn von Kindheit an fast genauso heftig und grausam wie die Liebesschmerzen gepeinigt hatten. Er hielt das alles nicht wie im Fall der Glatze für einen hinterlistigen Prankenschlag des Alters, weil er davon überzeugt war, daß trotz des vom vulkanisierten Kautschuk säuerlichen Atems seine Erscheinung insgesamt mit einem orthopädischen Lächeln sauberer wirken würde. So lieferte er sich ohne Widerstand den rotglühenden Zangen von Doktor Adonay aus und ertrug die Rekonvaleszenzzeit mit dem Stoizismus eines Lastesels. Onkel Leon XII. kümmerte sich um alle Einzelheiten der Operation, als würde sie an ihm selbst vorgenommen, denn er hatte seit einer seiner ersten Fahrten auf dem Magdalena ein ganz besonderes Interesse an künstlichen Gebissen entwickelt. Schuld daran war seine manische Liebe zum Belcanto. In einer Vollmondnacht, etwa auf Höhe des Hafens von Gamarra, wettete er mit einem deutschen Landvermesser, daß er die Tiere des Urwalds mit einer neapolitanischen Romanze, die er von der Kommandobrücke aus singen wollte, aufwecken könne. Es ging knapp aus. In der Dunkelheit des Flusses waren schon das Flattern der Reiher, die Schwanzschläge der Kaimane, die Angst der Alsen, die ans Ufer zu springen suchten, zu
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