Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Verpflichtungen, bei denen er sich quasi die ganze Verantwortung für die nationale Geographie aufgebürdet hatte: Er hatte die Zuständigkeit für die Schiffbarkeit des Flusses übernommen, für die Hafeneinrichtungen, die Zufahrtswege zu Land und für die Transportmittel. Im übrigen, sagte der Onkel, sei die heftige Opposition des Präsidenten Simon Bolivar nicht von Pappe gewesen. Die Mehrheit der Geschäftspartner sahen in diesen Auseinandersetzungen eine Art Ehestreit, bei dem beide Seiten recht haben. Die Starrköpfigkeit des Alten schien ihnen nur natürlich, nicht weil das Alter ihm den sprichwörtlichen Weitblick getrübt hätte, sondern weil der Verzicht auf das Monopol auf ihn wirken mußte, als werfe er die Trophäen einer historischen Schlacht, die er und seine Brüder in heroischen Zeiten ganz allein gegen mächtige Gegner aus aller Welt geschlagen hatten, auf den Müll. Also widersetzte sich ihm niemand, als er seine Anrechte auf eine Weise festschreiben ließ, daß vor der gesetzlichen Ablauffrist niemand daran rühren konnte. Plötzlich jedoch, als Florentino Ariza bei den besinnlichen Abenden auf der Hacienda schon die Waffen gestreckt hatte, gab Onkel Leon XII. seine Einwilligung zu dem Verzicht auf das hundertjährige Privileg, mit einer einzigen ehrenwerten Bedingung, es dürfe nicht vor seinem Tode geschehen.
Es war seine letzte Amtshandlung. Er sprach nie wieder von Geschäften, noch ließ er sich je um Rat fragen, noch verlor er eine einzige Locke von seinem Herrscherhaupt oder einen Deut von seiner geistigen Klarheit, tat aber alles nur Mögliche, um von niemandem gesehen zu werden, der ihn hätte bedauern können. Die Tage gingen dahin, während er von der Terrasse aus den ewigen Schnee betrachtete, er wiegte sich sacht in seinem Wiener Schaukelstuhl, neben sich ein Tischchen, auf dem die Dienstmädchen stets einen Topf heißen schwarzen Kaffees für ihn bereithielten, dazu ein Glas Natronwasser mit zwei Gebissen darin, die er allenfalls noch einsetzte, wenn Besuch kam. Er empfing nur ein paar wenige Freunde und sprach allein über eine ferne Vergangenheit, die weiter zurücklag als die Flußschiffahrt. Allerdings hatte er ein neues Gesprächsthema: den Wunsch, daß Florentino Ariza heiratete. Er gab es ihm etliche Male und immer auf die gleiche Weise zu verstehen.
»Wenn ich fünfzig Jahre jünger wäre, würde ich meine Namensvetterin Leona heiraten. Ich kann mir keine bessere Ehefrau vorstellen.«
Florentino Ariza zitterte bei der Vorstellung, die Arbeit so vieler Jahre könne durch diese unvorhergesehene Bedingung im letzten Augenblick zunichte gemacht werden. Dennoch hätte er lieber verzichtet, alles über Bord geworfen, den Tod gewählt, als Fermina Daza zu verraten. Glücklicherweise bestand Onkel Leon XII. nicht darauf. Als er sein zweiundneunzigstes Lebensjahr vollendet hatte, erkannte er den Neffen als Alleinerben an und zog sich ganz aus dem Unternehmen zurück.
Sechs Monate später wurde Florentino Ariza von allen Teilhabern einstimmig zum Aufsichtsratsvorsitzenden und zum Generaldirektor ernannt. Am Tag der Amtsübernahme bat der alte Löwe im Ruhestand nach dem Glas Champagner um Verständnis, daß er zum Reden nicht aus seinem Schaukelstuhl aufstehe, und improvisierte dann eine kurze Ansprache, die sich eher wie eine Elegie anhörte. Er sagte, sein Leben habe mit einem schicksalhaften Ereignis begonnen und ende auch mit einem solchen. Das erste sei gewesen, daß ihn der Befreier in Turbaco, einer Station auf dessen unglückseliger Reise in den Tod, auf dem Arm gehalten habe. Das andere sei, daß er, allen Hindernissen zum Trotz, die ihm das Schicksal in den Weg gelegt hatte, doch noch einen würdigen Nachfolger für sein Unternehmen gefunden habe. Abschließend versuchte er dem Drama alles Dramatische zu nehmen:
»Als einzige Enttäuschung nehme ich von diesem Leben mit, daß ich auf so vielen Begräbnissen gesungen habe, aber nicht auf meinem eigenen.«
Sagte es und sang, jawohl, Und es blitzen die Sterne, den Abschied vom Leben aus Tosca, zum Abschluß des Festaktes. Er sang die Arie a capella, so war es ihm am liebsten, und mit noch immer fester Stimme. Florentino Ariza war bewegt, ließ es sich jedoch allenfalls bei den Dankesworten am Zittern seiner Stimme anmerken. So wie er alles getan und geplant hatte, was er in seinem Leben getan und geplant hatte, erreichte er den Gipfel seiner Laufbahn und hatte kein anderes Ziel, als sich mit erbitterter Entschlossenheit
Weitere Kostenlose Bücher