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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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hören, bei der höchsten Note aber, als zu befürchten war, daß die Arterien des Sängers von der Macht des Gesanges platzen würden, glitten ihm mit der letzten Atemluft die falschen Zähne aus dem Mund und versanken im Wasser.
    Das Schiff mußte drei Tage im Hafen von Tenerife warten, bis ein Notgebiß angefertigt worden war. Es saß perfekt. Auf der Rückfahrt jedoch, als er dem Kapitän zu erklären versuchte, wie er das vorherige Gebiß verloren hatte, pumpte Onkel Leon XII. die Lunge voll glühender Urwaldluft, stimmte die höchste für ihn erreichbare Note an, hielt sie mit dem letzten Atem, um die Kaimane aufzuscheuchen, die mit starren Augenlidern das Vorbeiziehen der Schiffe beobachteten, und dann versank auch das neue Gebiß in der Strömung. Seitdem hinterlegte er überall, an verschiedenen Plätzen im Haus, in seiner Schreibtischschublade, auf jedem von den drei Schiffen der Reederei, Gebisse. Außerdem steckte er sich, wenn er auswärts aß, ein Hustenpastillenschächtelchen mit einem Ersatzgebiß in die Tasche, weil ihm seines einmal, als er bei einem ländlichen Essen versucht hatte, ein Stück Schwarte zu zerkauen, durchgebrochen war. Onkel Leon XII. fürchtete, daß sein Neffe Opfer ähnlicher böser Überraschungen werden könnte, und so gab er Doktor Adonay die Order, gleich zwei Gebisse anzufertigen: eins aus billigem Material für den täglichen Gebrauch im Büro, und für die Sonn- und Feiertage ein anderes mit einem Funken Gold am Lachbackenzahn, was dem Gebiß einen zusätzlichen Anflug von Echtheit verleihen sollte. Endlich, an einem von Festtagsglocken aufgerüttelten Palmsonntag, ließ sich Florentino Ariza wieder auf der Straße blicken mit einer neuen Identität, deren makelloses Lächeln ihm das Gefühl gab, ein anderer habe seinen Platz in der Welt eingenommen. Das war zu der Zeit, als seine Mutter starb und Florentino Ariza allein im Haus zurückblieb. Es war ein passender Winkel für die Art von Liebe, wie er sie pflegte, denn die Calle de las Ventanas war diskret, trotz der vielen Fenster, der Ventanas, die ihr den Namen gaben und die an allzu viele Augen hinter Gardinen denken ließen. Alles war jedoch hergerichtet worden, damit Fermina Daza und nur sie dort glücklich sein könnte, so daß Florentino Ariza in seinen ergiebigsten Jahren lieber viele Gelegenheiten ungenutzt ließ, als sein Haus mit anderen Liebschaften zu beflecken. Glücklicherweise brachte ihm jede Stufe, die er in der K. F. K. aufstieg, neue Privilegien ein, vor allem heimliche Privilegien, und eines der für ihn nützlichsten war, daß er die Geschäftsräume auch nachts oder an Sonn- und Feiertagen mit freundlicher Duldung der Wächter benutzen konnte. Während seiner Zeit als erster Vizepräsident erledigte er einmal mit einem Mädchen vom Sonntagsdienst gerade eine dringende Vögelei, er saß auf einem Schreibtischstuhl und sie rittlings auf ihm, als sich plötzlich die Tür öffnete. Onkel Leon XII. steckte nur den Kopf herein, als habe er sich im Büro geirrt, sah über die Brille hinweg seinen entsetzten Neffen an und rief ohne das geringste Staunen: »Caramba! Ganz der Papa!« Und sagte, bevor er die Tür wieder schloß, den Blick ins Leere gerichtet:
    »Und Sie, Fräulein, lassen Sie sich bitte nicht stören. Ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich Ihr Gesicht nicht gesehen habe.«
    Es wurde nicht wieder darüber gesprochen, doch in der darauffolgenden Woche war es dann unmöglich, in Florentino Arizas Büro zu arbeiten. Die Elektriker tauchten am Montag auf, um an der Decke einen Flügelventilator anzubringen. Die Schlosser kamen unangemeldet und brachten mit Kriegsgetöse ein Schloß an der Tür an, damit diese auch von innen abgeschlossen werden konnte. Die Schreiner nahmen Maß und sagten nicht wofür, die Tapezierer kamen mit Kretonne-Mustern, um sie mit der Farbe der Wände zu vergleichen, und in der Woche darauf mußte ein riesiges, zweischläfriges Sofa mit dionysischem Blumenbezug durchs Fenster bugsiert werden, da es nicht durch die Türe paßte. Sie arbeiteten zu den unvorhergesehensten Zeiten, mit einer Unverfrorenheit, die nicht zufällig zu sein schien, und hatten für jeden, der sich beklagte, die gleiche Antwort: »Anordnung der Generaldirektion.« Florentino Ariza erfuhr nie, ob diese Einmischung eine Freundlichkeit des Onkels war, der über den verirrten Liebschaften des Neffen wachte, oder ob dieser ihm auf die ihm eigene Weise vor Augen fuhren wollte, wie sehr er sich daneben

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