Die Liebe in den Zeiten der Cholera
benommen hatte. Auf die Wahrheit kam er nicht, daß Onkel Leon XII. ihn nämlich ermutigen wollte, weil das Gerücht, der Neffe habe Gewohnheiten, die sich von denen der meisten Männer unterschieden, auch bis zu ihm gedrungen war und ihn geschmerzt hatte, stellte es doch seinen Vorsatz in Frage, ihn zu seinem Nachfolger zu machen.
Anders als sein Bruder hatte Leon XII. Loayza sechzig Jahre lang eine gute Ehe geführt und brüstete sich damit, nie sonntags gearbeitet zu haben. Er hatte vier Söhne und eine Tochter gehabt und sie alle zu Erben des Imperiums heranziehen wollen, doch das Leben beschied ihm eine Reihe von Zufällen, die in den Romanen seiner Zeit gang und gäbe waren, an die im wirklichen Leben jedoch niemand glauben wollte: Die vier Söhne waren einer nach dem anderen gestorben, sobald sie Führungspositionen erreicht hatten, und die Tochter zeigte keinerlei Neigung zur Flußschiffahrt, sie zog es vor, von dem fünfzig Meter über dem Hudson gelegenen Fenster ihrer Wohnung aus Schiffe zu betrachten und zu sterben. Es gab viele Leute, die den Gerüchten Glauben schenkten, Florentino Ariza, der Mann mit dem düsteren Aussehen und dem Vampir-Regenschirm, habe irgendwie nachgeholfen, um so viele Zufälle zusammentreffen zu lassen. Seitdem der Onkel sich gegen den eigenen Wunsch, auf ärztliche Verordnung hin, zur Ruhe gesetzt hatte, verzichtete Florentino Ariza freiwillig auf einige Sonntagsliebeleien. Er begleitete nun den Onkel in sein ländliches Refugium, an Bord eines der ersten in der Stadt gesehenen Automobile, dessen Anlaßkurbel eine solche Rückstoßkraft hatte, daß sie dem ersten Fahrer den Arm ausgerenkt hatte. Sie redeten viele Stunden miteinander, das Meer im Rücken, der alte Mann lag in der Hängematte, in die mit Seidengarn sein Name gestickt war, fernab von allem auf einer alten Sklavenhacienda, von deren Astromelienterrassen aus gegen Abend die verschneiten Grate der Sierra zu sehen waren. Für Florentino Ariza und seinen Onkel war es immer schwierig gewesen, über etwas anderes als die Flußschiffahrt zu sprechen, und daran hatte sich auch an jenen ausgedehnten Nachmittagen nichts geändert, als der Tod ein ständiger unsichtbarer Gast war. Eine der immer wiederkehrenden Sorgen von Onkel Leon XII. war, daß die Flußschiffahrt den Unternehmern aus dem Landesinneren, die mit europäischen Konsortien zusammenarbeiteten, in die Hände fallen könnte. »Das hier ist immer ein Geschäft für uns Männer von der Küste gewesen«, pflegte er zu sagen, »wenn es die Bogotaner in die Hände bekommen, liefern sie es wieder den Deutschen frei Haus.« Diese Sorge entsprach einer seiner politischen Überzeugungen, die er, auch wenn es nicht zum Thema paßte, immer wieder gern kundtat.
»Jetzt werde ich bald hundert Jahre alt und habe erlebt, wie sich alles, sogar der Standort der Gestirne im Universum, verändert hat, aber eines habe ich noch nicht erlebt, nämlich daß sich in diesem Land etwas verändert hätte«, sagte er. »Hier macht man neue Verfassungen, neue Gesetze und alle drei Monate einen neuen Krieg, dennoch leben wir noch immer in der Kolonie.«
Seinen Brüdern von der Freimaurerloge, die alles Übel dem Scheitern des Föderalismus zuschrieben, erwiderte er stets: »Der Krieg der Tausend Tage wurde dreiundzwanzig Jahre vor seinem Ausbruch im Krieg 'von sechsundsiebzig verloren.« Florentino Ariza, dessen politisches Desinteresse ans Absolute grenzte, lauschte diesen immer häufiger werdenden Litaneien, wie man dem Rauschen des Meeres lauscht. Was aber die Politik des Unternehmens anging, so widersprach er dem Onkel entschieden. Im Gegensatz zu diesem meinte er, daß dem Rückgang bei der Flußschiffahrt, die immer vor dem Ruin zu stehen schien, nur mit dem freiwilligen Verzicht auf das Monopol für die Dampfschiffahrt zu begegnen sei, das der Karibischen Flußschiffahrtskompanie vom Kongreß für neunundneunzig Jahre und einen Tag erteilt worden war. Der Onkel protestierte: »Solche Ideen redet dir nur meine Namensvetterin Leona mit ihrer anarchistischen Neuerungssucht ein.« Das war aber nur die halbe Wahrheit. Florentino Ariza stützte seine Argumente auf die Erfahrungen, die der deutsche Kommodore Juan B. Eibers gemacht hatte, der seinem noblen Erfindungsgeist durch seinen unmäßigen persönlichen Ehrgeiz geschadet hatte. Der Onkel hingegen meinte, Eibers sei nicht wegen der beanspruchten Privilegien gescheitert, sondern an den gleichzeitig eingegangenen unrealistischen
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