Die Liebe in den Zeiten der Cholera
für den Augenblick am Leben und bei guter Gesundheit zu halten, da sich sein Los im Schatten von Fermina Daza erfüllen sollte. Er erinnerte sich jedoch nicht nur an Fermina Daza auf dem Fest, das Leona Cassiani an jenem Abend für ihn gab. Er erinnerte sich an sie alle: an diejenigen, die auf Friedhöfen schliefen und vielleicht durch die Rosen hindurch, die er über ihnen gepflanzt hatte, seiner gedachten, aber auch an jene, die ihren Kopf noch immer auf dasselbe Kissen legten, auf dem der Ehemann mit seinem im Mondlicht vergoldeten Geweih schlief. Da keine von ihnen bei ihm war, wünschte er, wie immer, wenn er verängstigt war, alle gleichzeitig um sich zu haben. Denn selbst in den schwierigsten Zeiten und den schlimmsten Augenblicken seines Lebens hatte er stets eine, wenn auch nur schwache Verbindung, zu den unzähligen Geliebten aus so vielen Jahren aufrechterhalten: Er hatte immer den Lauf ihres Lebens verfolgt. So erinnerte er sich in dieser Nacht an Rosalba, die Rangälteste von allen, die mit der Trophäe seiner Unschuld von dannen gegangen war, eine Erinnerung, die ihn wie am ersten Tag schmerzte. Er mußte nur die Augen schließen, um sie in ihrem Musselinkleid und ihrem Hut mit den langen Seidenbändern vor sich zu sehen, wie sie an der Reling des Schiffes den Käfig mit dem Kind wiegte. Mehr als einmal in den zahlreichen Jahren seines Lebens hatte er schon alles vorbereitet gehabt, um sich auf die Suche nach ihr zu machen, ohne auch nur zu wissen wo, ohne ihren Nachnamen zu kennen, ohne zu wissen, ob sie es war, die er suchte, doch in der Gewißheit, sie irgendwo inmitten von Orchideenhainen zu finden. Jedesmal aber war die Reise im letzten Augenblick wegen eines tatsächlichen Hinderungsgrundes oder wegen eines plötzlichen Anflugs von Willensschwäche aufgeschoben worden, wenn die Landungsbrücken schon weggezogen werden sollten: und immer aus einem Grund, der etwas mit Fermina Daza zu tun hatte. Er erinnerte sich an die Witwe Nazaret, die einzige, mit der er das Haus seiner Mutter in der Calle de las Ventanas entweiht hatte, allerdings hatte nicht er, sondern Tránsite Ariza die Witwe hereingebeten. Für sie brachte er mehr Verständnis auf als für irgendeine andere, denn sie hatte als einzige mehr Zärtlichkeit als genug ausgestrahlt, um Fermina Daza zu ersetzen, auch wenn sie im Bett so träge gewesen war. Doch ihr Hang, wie eine Katze herumzustreunen, war noch unbezähmbarer als die Kraft ihrer Zärtlichkeit gewesen und hatte sie beide zur Untreue verdammt. Dennoch war es ihnen gelungen, diese Liebschaft mit Unterbrechungen fast dreißig Jahre lang aufrechtzuerhalten, ganz nach der Musketier-Devise: Untreu, aber nicht treulos. Sie war im übrigen die einzige, für die Florentino Ariza in aller Öffentlichkeit einstand: Als ihn die Nachricht erreichte, sie sei gestorben und solle ein Armenbegräbnis bekommen, ließ er sie auf seine Kosten bestatten und kam als einziger zur Beerdigung. Er erinnerte sich an andere geliebte Witwen. An Prudencia Pitre, die älteste unter den überlebenden, allgemein bekannt als die Doppelwitwe, weil sie zwei Männer überlebt hatte. Und an die andere Prudencia, die liebliche Witwe Arellano, die ihm die Knöpfe von der Kleidung riß, damit er so lange bei ihr blieb, bis sie sie wieder angenäht hatte. Und an Josefa, die Witwe Zuniga, die nach ihm verrückt war und ihm im Schlaf einmal mit der Gartenschere beinahe den Pimmel abgeschnitten hätte, der, wenn schon nicht ihr, keiner gehören sollte.
Er erinnerte sich an Angeles Alfaro, die flüchtige und von ihm am heftigsten geliebte, die für sechs Monate an die Musikschule gekommen war, um Streichinstrumente zu unterrichten, und die, so wie ihre Mutter sie geboren hatte, die Mondnächte mit ihm auf der Dachterrasse verbracht und dabei die schönsten Suiten der ganzen Musik auf dem Cello gespielt hatte, dessen Stimme sich zwischen ihren goldenen Schenkeln in die eines Mannes verwandelte. Von der ersten Mondnacht an zerrissen sich beide das Herz in einer wilden Anfängerliebe. Doch Angeles Alfaro verschwand, wie sie gekommen war, mit ihrem sanften Geschlecht und dem Cello einer Sünderin, auf einem mit dem Vergessen beflaggten Überseedampfer, und das einzige, was von ihr auf den Mondterrassen zurückblieb, war ihr Abschiedswinken mit einem weißen Taschentuch, das, einsam und traurig, wie in den Versen der Blumenspiele, einer Taube am Horizont glich. Bei ihr lernte Florentino Ariza, was er schon oft unbewußt
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