Die Liebe in den Zeiten der Cholera
durchlitten hatte: daß man in mehrere Personen gleichzeitig verliebt sein kann und, ohne eine zu betrügen, in alle gleich schmerzlich. Verlassen in der Menge am Kai, hatte er sich in aufwallender Wut gesagt: »Das Herz hat mehr Kammern als ein Bordell.« Er war beim Abschied in Tränen aufgelöst gewesen. Kaum war das Schiff jedoch hinter dem Horizont verschwunden, beanspruchte die Erinnerung an Fermina Daza wieder allen Raum. Er erinnerte sich an Andrea Varón, vor deren Haus er die vergangene Woche verbracht hatte, das orangefarbene Licht im Badezimmerfenster hatte ihm jedoch bedeutet, daß er nicht hereinkommen durfte. Es war ihm jemand zuvorgekommen. Irgend jemand, Mann oder Frau, denn bei solchen Kleinigkeiten hielt sich Andrea Varón im Liebesdurcheinander nicht auf. Von allen auf seiner Liste war sie die einzige, die von ihrem Körper lebte, doch sie verwaltete ihn nach eigenem Gutdünken, ohne Geschäftsführer. In ihren guten Jahren hatte sie als heimliche Kurtisane eine legendäre Karriere gemacht, die ihr den Künstlernamen Unsere liebe Frau von Jedermann einbrachte. Sie hatte Gouverneure und Admirale verrückt gemacht, an ihrer Schulter hatten Helden des Krieges und der Kunst geweint, die nicht so bedeutend waren, wie sie selbst es glaubten, aber auch einige, die es waren. Verbürgt war jedoch, daß Präsident Rafel Reyes ihr nach einer hastigen halben Stunde zwischen zwei Gelegenheitsbesuchen in der Stadt eine Leibrente für hervorragende Dienste im Finanzministerium, wo sie nicht einen Tag angestellt gewesen war, ausgesetzt hatte. Sie teilte ihre Gaben der Lust aus, so weit ihr Körper reichte, und obgleich ihr anstößiges Verhalten allgemein bekannt war, hätte niemand einen einschlägigen Beweis gegen sie vorbringen können, da ihre berühmten Komplizen sie wie das eigene Leben schützten, wohl wissend, daß nicht Andrea Varón, sondern sie selbst bei einem Skandal das meiste zu verlieren hatten. Florentino Ariza hatte ihretwegen gegen seinen heiligen Grundsatz, nie zu zahlen, verstoßen, und sie gegen den ihren, es nicht einmal mit dem Ehemann kostenlos zu machen. Sie hatten sich auf den symbolischen Preis von jeweils einem Peso geeinigt, den sie aber nicht entgegennahm und den er ihr auch nicht in die Hand gab, sie steckten ihn in das Sparschwein, bis genug zusammen war, um am Portal de los Escribanos irgend etwas Raffiniertes aus Übersee zu kaufen. Sie war es, die seinen Spülungen bei hartnäckiger Verstopfung eine besondere Sinnlichkeit zuschrieb, und überredete ihn dazu, sie mit ihr zu teilen, sich gemeinsam an ihren verrückten Abenden dieser Behandlung zu unterziehen, um noch mehr Liebe aus der Liebe zu schöpfen.
Er hielt es für einen Glücksfall, daß unter so vielen gewagten Begegnungen allein die mit der verwirrten Sara Noriega ihm einen Tropfen Bitterkeit zu kosten gegeben hatte. Diese Frau beschloß ihr Leben im Irrenhaus Divina Pastora, wo sie senile Verse von so hemmungsloser Obszönität deklamierte, daß sie isoliert werden mußte, damit sie nicht die anderen Verrückten restlos irre machte. Als er dann jedoch die ganze Verantwortung für die K. F. K. übernommen hatte, blieb ihm nicht mehr viel Zeit und auch nicht genügend Schwung, Fermina Daza durch irgend jemand anderes ersetzen zu wollen: Er wußte, daß sie unersetzbar war. Nach und nach war er der Routine verfallen, nur noch die Bewährten zu besuchen, schlief mit ihnen, sofern sie ihm nutzten, sofern es ihm möglich war und solange sie lebten. An dem Pfingstsonntag, an dem Juvenal Urbino starb, war ihm nur noch eine geblieben, eine einzige, gerade vierzehn Jahre alt und begabt wie zuvor keine andere, um ihn vor Liebe verrückt zu machen. Sie hieß América Vicuña . Zwei Jahre zuvor war sie aus dem Küstenstädtchen Puerto Padre gekommen, von ihren Eltern Florentino Ariza anvertraut, der erwiesenermaßen ein Blutsverwandter von ihr war und nun ihr Betreuer sein sollte. Sie kam mit einem Regierungsstipendium für die Lehrerausbildung, mit ihrem Bettzeug in einem Bündel und ihrem Blechköfferchen, das einer Puppe zu gehören schien, und als sie mit ihrem goldenen Zopf und den weißen Stiefelchen vom Schiff stieg, beschlich ihn die ungeheuerliche Ahnung, daß sie viele sonntägliche Siestas zusammen verleben würden. Sie war in jeder Hinsicht noch ein Kind, mit scharfen Zähnchen und aufgestoßenen Knien von der Primarschulzeit, doch er sah ihr sogleich an, was für eine Sorte Frau sie sehr bald sein würde, und erzog
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