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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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wenn sie im Haus allein war, lauschte sie bei gedämpfter Lautstärke den fernen, aber deutlichen Merengues aus Santo Domingo und Plenas aus Puerto Rico. Eines Nachts hörte sie auf einem unbekannten Sender, der plötzlich und so kraftvoll und klar, als komme er aus dem Nachbarhaus, hereinplatzte, eine erschütternde Meldung: Ein greises Paar, das seit vierzig Jahren immer wieder zum Ziel seiner Hochzeitsreise fuhr, war von dem Bootsmann, der sie spazierengefahren hatte, wegen ihres Geldes mit dem Ruder erschlagen worden: Es ging um vierzehn Dollar. Noch erschütterter war sie, als Lucrecia del Real ihr die ganze, in einem Lokalblatt veröffentlichte Geschichte erzählte. Die Polizei hatte herausgefunden, daß die erschlagenen alten Leute, sie achtundsiebzig und er vierundachtzig Jahre alt, ein heimliches Liebespaar gewesen waren, und obgleich jeder von ihnen eine glückliche und dauerhafte Ehe führte und eine große Familie hatte, waren sie seit vierzig Jahren gemeinsam in Urlaub gefahren. Fermina Daza, die bei den Radioromanen nie geweint hatte, mußte mit dem Weinen kämpfen, die ihr den Hals zuschnürten. In seinem nächsten Brief schickte ihr Florentino Ariza kommentarlos den Zeitungsausschnitt mit der Meldung.
    Es sollten nicht die letzten Tränen sein, die Fermina Daza unterdrücken mußte. Florentino Ariza hatte seine sechzigtägige Verbannung noch nicht hinter sich gebracht, als La Justicia auf der ganzen ersten Seite mit Bildern der Protagonistendarsteller eine angebliche Liebschaft von Doktor Juvenal Urbino und Lucrecia del Real del Obispo enthüllte. Es wurde über Einzelheiten der Affäre spekuliert, über Regelmäßigkeit und Art und Weise und angedeutet, wie willfährig der gehörnte Ehemann gewesen sei, der mit den Negern auf seiner Zuckerrohrplantage dem Frevel der Sodomie gefrönt habe. Diese Geschichte, die blutrot in riesigen Holzlettern aufgemacht war, erschütterte wie ein Erdrutsch die geschwächte Stadtaristokratie. Dabei war keine Zeile davon wahr. Juvenal Urbino und Lucrecia del Real waren in ihrer Jugend eng befreundet gewesen und blieben es auch, nachdem beide geheiratet hatten, waren aber nie ein Liebespaar geworden. Jedenfalls schien die Veröffentlichung nicht darauf aus zu sein, den Namen von Doktor Juvenal Urbino in den Schmutz zu ziehen, der uneingeschränkte Achtung genoß, sie sollte vielmehr dem Mann von Lucrecia del Real schaden, der eine Woche zuvor zum Präsidenten des Club Social gewählt worden war. Der Skandal wurde in wenigen Stunden unterdrückt, Lucrecia del Real besuchte jedoch Fermina Daza nie wieder, was diese als ein Eingeständnis von Schuld deutete.
    Bald aber wurde klar, daß auch Fermina Daza selbst nicht vor den Risiken ihrer Klasse gefeit war. La Justicia griff sie an ihrer einzigen schwachen Flanke an: die Geschäfte ihres Vaters. Als dieser gezwungenermaßen das Land hatte verlassen müssen, war ihr aus Erzählungen Gala Placidias nur eine einzige Episode seiner trüben Machenschaften bekannt gewesen. Doktor Urbino hatte ihr das nach dem Gespräch mit dem Gouverneur bestätigt, sie aber glaubte fest daran, daß ihr Vater das Opfer einer Verleumdung geworden war. Tatsache war, daß zwei Regierungsbeamte mit einem Durchsuchungsbefehl für das Haus am Parque de los Evangelios aufgetaucht waren und es von oben bis unten durchkämmt hatten, ohne zu finden, was sie suchten. Schließlich hatten sie befohlen, einen Spiegelschrank in Fermina Dazas altem Schlafzimmer zu öffnen. Gala Placidia, die allein im Haus gewesen war und niemanden hatte warnen können, gab vor, nicht die Schrankschlüssel zu haben, worauf einer der Männer den Spiegel mit dem Kolben seines Revolvers zerschlagen und entdeckt hatte, daß der Hohlraum zwischen Glas und Holz mit falschen Hundertdollarnoten vollgestopft war. Hier lief eine Vielzahl von Spuren zusammen, die zu Lorenzo Daza als dem letzten Glied einer breitangelegten internationalen Operation führten. Es war eine meisterhafte Fälschung, da die Geldscheine das Originalwasserzeichen hatten: Durch ein an Magie grenzendes chemisches Verfahren waren Eindollarnoten gelöscht und die Scheine mit dem Einhundert-Dollar-Aufdruck versehen worden. Lorenzo Daza machte geltend, daß der Schrank lange nach der Hochzeit seiner Tochter gekauft worden sei und mit dem versteckten Geld ins Haus gekommen sein müsse, die Polizei aber konnte beweisen, daß er seit Fermina Dazas Schulzeit dort gestanden hatte. Niemand außer Lorenzo Daza hatte das falsche

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