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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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verändert hatte. Es war kaum zehn Jahre her, daß er hinter der Haupttreppe seines Hauses eines seiner Dienstmädchen angefallen und sie, angekleidet und im Stehen, schneller als ein Philippinenhahn in gute Hoffnung versetzt hatte. Er mußte ihr dann ein möbliertes Haus schenken, damit sie schwor, ein Sonntagsverehrer, der sie noch nicht einmal geküßt hatte, sei der Urheber der Schande, woraufhin ihr Vater und ihr Onkel, beide gestandene Zuckerrohrschnitter, die Hochzeit erzwangen. Kaum zu glauben, daß das derselbe Mann war, an dem sich jetzt zwei Frauen, die ihn noch vor wenigen Monaten vor Lust hatten erzittern lassen, von hinten und vorne zu schaffen machten, ihn von oben bis unten einseiften, ihn mit Tüchern aus ägyptischer Baumwolle abtrockneten und am ganzen Körper massierten, ohne daß er nur einen Seufzer der Unruhe von sich gegeben hätte. Jede hatte ihre eigene Erklärung für seine Bedürfnislosigkeit. Leona Cassiani meinte, es handele sich um die Präludien des Todes. América Vicuña vermutete eine dunkle Ursache, der sie nicht auf die Spur kam. Nur er kannte die Wahrheit bei ihrem Namen. Wie auch immer, es war ungerecht: Sie litten mehr dabei, ihn zu versorgen, als er, der so gut versorgt wurde.
    Drei Dienstage genügten Fermina Daza schon, um einzusehen, wie sehr ihr Florentino Arizas Besuche fehlten. Dabei fühlte sie sich mit ihren engen Freundinnen wohl und immer besser, je mehr die Zeit sie den Gewohnheiten ihres Mannes entrückte. Lucrecia del Real del Obispo war nach Panama gefahren, um ihre nicht zu lindernden Ohrenschmerzen behandeln zu lassen, und nach einem Monat sehr erleichtert mit einem kleinen Hörrohr zurückgekehrt, mit dem sie aber schlechter hörte als zuvor. Unter ihren Freunden war Fermina Daza diejenige, die am besten ihre wirren Fragen und Antworten ertrug, was Lucrecia derart anregte, daß es kaum einen Tag gab, an dem sie nicht zu irgendeiner Uhrzeit auftauchte. Niemand aber konnte Fermina Daza die beruhigenden Nachmittage mit Florentino Ariza ersetzen. Die Erinnerung an die Vergangenheit war aber nicht, wie er beharrlich glaubte, eine Lösung für die Zukunft. Im Gegenteil, sie bestärkte Fermina Daza in ihrer alten Überzeugung, daß jener fiebrige Aufruhr im Alter von zwanzig Jahren wohl etwas sehr Edles und Schönes gewesen sei, nicht aber die Liebe. Trotz ihrer sonst bis zur Brutalität gehenden Ehrlichkeit hatte sie nicht die Absicht, ihm das in einem Brief oder persönlich zu eröffnen, und sie hatte auch nicht das Herz, ihm zu sagen, wie falsch die Sentimentalität seiner Briefe in ihren Ohren klang, nachdem sie die wohltuenden Tröstungen seiner schriftlichen Meditationen kennengelernt hatte, wie klein ihn seine lyrischen Lügen machten und wie sehr das manische Beharren auf der Vergangenheit seiner Sache schadete. Nein: Weder eine Zeile seiner Briefe von einst noch irgendein Moment ihrer eigenen verhaßten Jugend hatten in ihr das Gefühl aufkommen lassen, daß die Dienstagnachmittage ohne ihn so lang sein konnten, wie sie es in Wirklichkeit waren, so einsam und unwiederbringlich ohne ihn.
    In einer ihrer vereinfachenden Anwandlungen hatte sie das Radio, ein Geschenk ihres Mannes zu einem ihrer Geburtstage, in die Ställe bringen lassen, obgleich sie beide ursprünglich vorgehabt hatten, es einmal dem Museum zu vermachen, da es der erste Rundfunkempfänger in der Stadt gewesen war. In der dunklen Zeit ihrer Trauer hatte sie beschlossen, den Apparat nicht wieder zu benutzen, da eine Witwe ihres Standes selbst im engsten Kreis nicht Musik, welcher Art auch immer, hören konnte, ohne das Gedächtnis des Toten zu beleidigen. Nach dem dritten Dienstag der Verlassenheit ließ sie das Radio wieder in den Salon schaffen, nicht um wie früher die Schlager vom Sender Riobamba zu hören, sondern um ihre toten Stunden mit den rührseligen Radioromanen aus Santiago de Cuba auszufüllen. Es war ein Erfolg, denn nach der Geburt der Tochter hatte sie sich nach und nach das Lesen abgewöhnt, das ihr Mann ihr seit der Hochzeitsreise mit so viel Eifer nahegebracht hatte und das sie mit fortschreitender Ermüdung ihrer Augen dann ganz aufgegeben hatte, so daß sogar Monate vergehen konnten, ohne daß sie wußte, wo ihre Lesebrille war. Sie begeisterte sich derart für die Radioromane aus Santiago de Cuba, daß sie sehnsüchtig auf die täglichen Fortsetzungen wartete. Ab und zu hörte sie Nachrichten, um zu wissen, was in der Welt passierte, und bei den seltenen Gelegenheiten,

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