Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Dienstmädchen gehört werden wollte, zu sich ins Schlafzimmer und forderte sie auf, ihre Anschuldigungen zu wiederholen. Ofelia beschönigte nichts: Sie sei sicher, daß Florentino Ariza, der bei jedermann in dem Ruf stehe, pervers zu sein, ein zwielichtiges Verhältnis anstrebe, das mehr als die Gaunerstückchen Lorenzo Dazas und die harmlosen Abenteuer Juvenal Urbinos dem guten Namen der Familie schaden würde. Fermina Daza hörte ihr wortlos, ohne mit der Wimper zu zucken, zu, und als sie alles gehört hatte, war sie eine andere Frau: Sie war ins Leben zurückgekehrt.
»Mir tut nur leid, daß ich nicht genug Kraft habe, um dir die Tracht Prügel zu verpassen, die du wegen deiner Unverschämtheit und deiner Hintergedanken verdient hast«, sagte sie. »Aber du verläßt auf der Stelle dieses Haus, und ich schwöre dir bei den Gebeinen meiner Mutter, du betrittst es nicht wieder, solange ich lebe.«
Keine Macht der Erde konnte sie davon abbringen. Ofelia zog inzwischen in das Haus ihres Bruders und entsandte Emissäre von Rang mit den eindringlichsten Bitten. Es war zwecklos. Fermina Daza ließ sich auch nach den Vermittlungsversuchen des Sohnes und der Intervention ihrer Freundinnen nicht umstimmen. Ihrer Schwiegertochter gegenüber, mit der sie immer eine gewisse freimütige Vertraulichkeit verbunden hatte, ließ sie sich schließlich zu einer Bemerkung in der blumigen Sprache ihrer besten Jahre hinreißen: »Vor einem Jahrhundert haben sie mich um ein Leben mit diesem armen Mann beschissen, weil wir zu jung waren, und jetzt wollen sie uns bescheißen, weil wir zu alt sind.« Sie zündete sich eine Zigarette am Stummel der anderen an und spuckte all das Gift aus, das sich ihr in die Eingeweide gefressen hatte.
»Sie sollen sich doch alle zum Teufel scheren«, sagte sie. »Wenn wir Witwen einen Vorteil haben, dann doch den, daß uns niemand mehr herumkommandieren kann.« Es war nichts zu machen. Als Ofelia sich schließlich davon überzeugt hatte, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren, kehrte sie nach New Orleans zurück. Alles, was sie nach inständigem Flehen bei ihrer Mutter erreicht hatte, war, daß diese sich von ihr verabschiedete, das Haus aber durfte sie nicht betreten: Fermina Daza hatte es bei den Gebeinen ihrer Mutter geschworen, und in jenen Tagen der Finsternis waren diese für sie das einzige, was noch nicht befleckt war.
Bei einem seiner ersten Besuche hatte Florentino Ariza, als er von seinen Schiffen sprach, Fermina Daza in aller Form zu einer Erholungsreise auf dem Fluß eingeladen. Dann hätte sie nach einem weiteren Tag Zugfahrt die Hauptstadt der Republik kennenlernen können, die sie wie die meisten Küstenbewohner ihrer Generation noch bei dem Namen nannte, den die Stadt bis ins letzte Jahrhundert hinein gehabt hatte: Santa Fe. Doch Fermina Daza hielt sich an die Abneigung ihres Mannes und hatte keine Lust, eine eisige und düstere Stadt zu besuchen, in der die Frauen das Haus nur für die Fünf-Uhr-Messe verlassen und weder Eisdielen noch öffentliche Ämter betreten durften, wie man ihr erzählt hatte, wo der Verkehr zu jeder Tageszeit wegen der vielen Trauerzüge stocke und seit Maulesels Tagen ein dünner Nieselregen falle: schlimmer als in Paris. Der Fluß hingegen zog sie mächtig an, sie wollte die Kaimane sehen, die sich auf den Sandbänken sonnten, wollte mitten in der Nacht von der Weiberklage der Seekühe geweckt werden, allerdings hatte der Gedanke an eine so mühselige Reise in ihrem Alter, allein und als Witwe, etwas Unwirkliches für sie.. Florentino Ariza wiederholte diese Einladung später, als sie sich dazu entschlossen hatte, auch ohne ihren Mann weiterzuleben, und nun konnte sie es sich schon eher vorstellen. Nach dem Zerwürfnis mit der Tochter aber, als sie über die Verleumdung des Vaters verbittert war, voll Zorn gegen den toten Ehemann und wütend über die heuchlerischen Schmeicheleien von Lucrecia del Real, die sie jahrelang für ihre beste Freundin gehalten hatte, fühlte sie sich im eigenen Haus überflüssig. Eines Nachmittags, als sie auf der Terrasse ihren Kräutertee trank, schaute sie auf das Schlammfeld im Garten, wo der Baum ihres Unglücks nicht wieder ausschlagen konnte.
»Am liebsten würde ich aus diesem Haus verschwinden, einfach weglaufen, geradeaus, immer geradeaus, und nie mehr zurückkommen.«
»Steig auf ein Schiff«, sagte Florentino Ariza. Fermina Daza sah ihn nachdenklich an. »Das wäre gar nicht so dumm«, sagte sie. Sie hatte es
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