Die Liebe in den Zeiten der Cholera
oder beides hatte sie vernichtet. Ihr stahlfarbenes leuchtendes Haar, das ihr Antlitz veredelt hatte, erinnerte nun an vergilbtes Maisstroh, und die schönen Pantheraugen gewannen ihren Glanz nicht einmal im Aufblitzen der Wut zurück. Der Entschluß, nicht weiterleben zu wollen, war jeder ihrer Gesten anzumerken. Schon seit langem hatte sie die Gewohnheit aufgegeben, im Bad eingeschlossen oder sonst irgendwo zu rauchen, doch sie war rückfällig geworden und rauchte nun mit ungezügelter Gier erstmals auch in der Öffentlichkeit, zunächst die selbstgedrehten Zigaretten, die sie schon immer gemocht hatte, und dann, da sie zum Drehen weder Zeit noch Geduld aufbrachte, die ordinärsten, die im Handel waren. Jeder andere Mann hätte sich gefragt, was denn einem Greis wie ihm, der hinkte und dessen Rücken brannte wie der eines aufgerittenen Esels, und einer Frau, die sich schon kein anderes Glück als den Tod ersehnte, die Zukunft noch hätte bringen können. Nicht so Florentino Ariza. Er rettete ein Fünkchen Hoffnung aus den Trümmern der Katastrophe, da ihm schien, daß das Unglück Fermina Daza Größe verlieh, die Wut sie schöner machte und der Groll gegen die Welt ihr den schroffen Charakter ihrer zwanzig Jahre zurückgegeben hatte.
Sie hatte wieder einen Grund, Florentino Ariza dankbar zu sein, denn dieser hatte die infamen Berichte zum Anlaß für einen exemplarischen Brief über die ethische Verantwortung der Presse und das Gebot der Achtung vor der Ehre anderer genommen und diesen an La Justicia geschickt. Der Brief wurde nicht abgedruckt. Der Autor sandte jedoch eine Kopie an den Diario del Comercio, die älteste und seriöseste Zeitung der Karibikküste; dort wurde der Brief auf der ersten Seite veröffentlicht. Er war mit dem Pseudonym Jupiter gezeichnet und so durchdacht, so scharf und gut formuliert, daß er einigen der bedeutendsten Schriftsteller der Provinz zugeschrieben wurde. Inmitten des Ozeans hatte sich eine einsame Stimme erhoben, doch sie war eindringlich und weit zu hören. Ohne daß es ihr jemand gesagt hätte, wußte Fermina Daza, wer der Autor war, denn sie hatte einige Gedanken Florentino Arizas wiedererkannt, ja sogar wörtlich einen Satz aus seinen moralischen Betrachtungen. Daher empfing sie ihn in den Wirren ihrer Selbstaufgabe mit neuerblühter Zuneigung. Zu jener Zeit hielt sich América Vicuña an einem Sonntagnachmittag einmal allein im Schlafzimmer der Calle de las Ventanas auf und entdeckte rein zufällig die Kopien von Florentino Arizas maschinengeschriebenen Betrachtungen sowie handschriftliche Briefe Fermina Dazas. Doktor Urbino Daza war sehr erfreut über die Wiederaufnahme der Besuche, die seine Mutter aufmunterten. Ganz anders seine Schwester Ofelia, die auf dem ersten Bananenfrachter aus New Orleans anreiste, sobald sie erfahren hatte, daß ihre Mutter eine seltsame Freundschaft mit einem Mann verband, dessen Ansehen moralisch nicht eines der besten war. Ihre Beunruhigung steigerte sich nach der ersten Woche zur Krise, nachdem sie beobachtet hatte, mit welcher Vertrautheit und Selbstverständlichkeit Florentino Ariza im Haus ein- und ausging und daß sich seine Besuche mit Gewisper und flüchtigen Plänkeleien wie bei Verliebten bis in die Nacht hinein ausdehnten. Was für Doktor Urbino Daza eine heilsame Seelenverwandtschaft zwischen zwei alten Menschen war, erschien ihr als eine verderbliche Spielart geheimen Konkubinats. So war Ofelia Urbino schon immer gewesen, sie war Doña Bianca, ihrer Großmutter väterlicherseits, ähnlicher, als eine Tochter es hätte sein können. Wie diese war sie distinguiert, hochfahrend und eine Gefangene ihrer Vorurteile. Sie war einfach nicht fähig, sich eine unschuldige Freundschaft zwischen Mann und Frau vorzustellen, nicht im Alter von fünf Jahren und erst recht nicht mit achtzig. In einem hitzigen Streit mit ihrem Bruder sagte sie, es fehle nur noch, daß Florentino Ariza, um die Mutter endgültig zu trösten, sich zu ihr ins Witwenbett lege. Doktor Urbino Daza hatte nicht die Courage, gegen sie Front zu machen, hatte sie nie gehabt, aber seine Frau griff besonnen mit einer Rechtfertigung der Liebe in jedem Lebensalter ein. Ofelia verlor die Beherrschung:
»Liebe in unserem Alter ist lächerlich«, schrie sie, »aber in ihrem Alter ist sie eine Ferkelei!«
Ofelia setzte sich derart heftig für die Vertreibung von Florentino Ariza ein, daß es Fermina Daza zu Ohren kam. Sie rief sie, wie immer, wenn sie nicht von den
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