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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Stehkragen, statt Krawatte die Künstlerschleife und eine Melone. Auch den Regenschirm hatte er mitgenommen, und diesmal nicht aus reiner Gewohnheit, sondern weil er sicher war, daß es vor zwölf Uhr mittags regnen würde. Er ließ das Doktor Urbino Daza wissen, für den Fall, daß es diesem möglich gewesen wäre, das Begräbnis vorzuverlegen. Sie versuchten es tatsächlich, denn Florentino Ariza stammte aus einer Reederfamilie und war selbst Präsident der Karibischen Flußschiffahrtskompanie, was vermuten ließ, daß er sich auf meteorologische Prognosen verstand. Es gelang aber nicht, allen rechtzeitig Bescheid zu geben: den zivilen und militärischen Behörden, den öffentlichen und privaten Körperschaften, der Militärkapelle und dem Orchester der Kunstakademie, den Schulen und den religiösen Kongregationen, die sich alle schon auf elf Uhr eingestellt hatten, so daß die Beerdigung, die als historisches Ereignis angelegt war, wegen eines verheerenden Platzregens in wilder Flucht endete. Nur sehr wenige gelangten durch den Schlamm watend bis zum Familienmausoleum, das von einer Ceiba aus der Kolonialzeit, deren Krone bis über die Friedhofsmauer hinausreichte, geschützt war. Unter diesem Laubwerk, aber in der äußeren Parzelle, die für die Selbstmörder bestimmt war, hatten die Antillenflüchtlinge am Nachmittag zuvor Jeremiah de Saint-Amour seinem Wunsch gemäß gemeinsam mit dem Hund begraben. Florentina Ariza war einer der wenigen, die bis zum Schluß an der Beerdigung teilnahmen. Er war bis aufs Unterhemd durchnäßt und wurde von der Angst nach Hause getrieben, sich nach so vielen Jahren sorgfältiger Pflege und übertriebener Vorsichtsmaßnahmen eine Lungenentzündung geholt zu haben. Er ließ sich eine heiße Limonade mit einem Schuß Brandy zubereiten, trank sie im Bett mit zwei Tabletten Phenaspirin und schwitzte in eine Wolldecke gewickelt in Strömen, bis er die richtige Körpertemperatur wiedererlangt hatte. Als er zur Totenfeier zurückkehrte, war er guten Mutes. Fermina Daza hatte wieder das Regiment über das Haus übernommen, es war gefegt und empfangsbereit, und auf den Altar der Bibliothek hatte sie ein Bild des Ehemannes gestellt, ein Pastellgemälde mit einem Trauerflor am Rahmen. Um acht Uhr waren so viele Menschen dort wie in der Nacht zuvor, und die Hitze war ebenso drückend, doch nach dem Rosenkranz ließ jemand die Bitte kursieren, man möge sich doch früh zurückziehen, damit die Witwe erstmals seit Sonntagnachmittag wieder ruhen könne. Fermina Daza verabschiedete die meisten neben dem Altar, die letzte Gruppe enger Freunde begleitete sie jedoch bis zur Eingangstür, um diese dann wie immer selbst zu schließen. Das wollte sie gerade mit letzter Kraft tun, als sie Florentino Ariza in Trauerkleidung mitten im leeren Salon stehen sah. Sie freute sich, denn sie hatte ihn vor vielen Jahren aus ihrem Leben gelöscht und nahm ihn nun, geläutert durch das Vergessen, zum ersten Mal wieder bewußt wahr. Doch bevor sie ihm für seinen Besuch danken konnte, legte er sich die Hand, in der er den Hut hielt, auf die Seite des Herzens und ließ bewegt und würdevoll den Abszeß aufplatzen, der ihn am Leben gehalten hatte.
    »Fermina«, sagte er zu ihr: »Auf diese Gelegenheit habe ich über ein halbes Jahrhundert gewartet, um Ihnen erneut ewige Treue und stete Liebe zu schwören.« Fermina Daza hätte geglaubt, einen Verrückten vor sich zu haben, hätte sie nicht Gründe für die Annahme gehabt, daß Florentino Ariza in jenem Augenblick von der Gnade des Heiligen Geistes beseelt war. Ihr unmittelbarer Impuls war, ihn wegen der Entweihung des Hauses zu verfluchen, in diesem Moment, da die Leiche ihres Mannes im Grab noch warm war. Doch daran hinderte sie die Würde des Zorns. »Hau ab«, sagte sie. »Und laß dich nicht wieder blicken, solange du lebst.« Sie öffnete erneut weit die Eingangstür, die sie gerade hatte schließen wollen, und fügte hinzu: »Und ich hoffe, das dauert nicht mehr lang.« Als sie die Schritte auf der einsamen Straße verhallen hörte, schloß sie sehr langsam mit Riegeln und Schlüsseln die Tür und ging allein ihrem Schicksal entgegen. Nie, bis zu diesem Augenblick, hatte sie das Gewicht und die Tragweite des Dramas ganz ermessen, das sie selbst mit kaum achtzehn Jahren ausgelöst hatte und das sie bis zu ihrem Tod verfolgen sollte. Zum ersten Mal seit dem Unglücksnachmittag weinte sie, ohne Zeugen, für sie die einzig mögliche Art zu weinen. Sie weinte über

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