Die Liebe in den Zeiten der Cholera
umsichtige, unterwürfige Ehefrauen zu sein. Während der Kolonialzeit und in den ersten Jahren der Republik wurden dort nur die Erbinnen großer Namen aufgenommen. Doch die alten Familien, deren Ruin die Unabhängigkeit gewesen war, mußten sich den Realitäten der neuen Zeit anpassen, und die Schule öffnete, ohne sich um Stammbäume zu kümmern, ihre Türen allen Anwärterinnen, die zahlen konnten, allerdings nur unter der Bedingung, daß es sich um legitime Töchter aus katholischen Ehen handelte. Es war jedenfalls eine teure Schule, und die Tatsache, daß Fermina Daza sie besuchte, war allein schon ein Indiz für die wirtschaftliche Lage der Familie, wenn auch noch nicht für ihren sozialen Stand. Diese Informationen ermutigten Florentino Ariza, rückten sie doch das schöne junge Mädchen mit den Mandelaugen in Reichweite seiner Träume. Das strenge Regiment ihres Vaters erwies sich jedoch bald als un-überwindbares Hindernis. Im Unterschied zu den anderen Schülerinnen, die in Gruppen oder begleitet von einer alten Dienstmagd zur Schule gingen, kam Fermina Daza immer mit ihrer unverheirateten Tante, und ihr Verhalten zeigte, daß ihr keinerlei Ablenkung erlaubt war. Auf diese unschuldige Weise begann Florentino Ariza sein geheimes Leben als einsamer Jäger. Von sieben Uhr morgens an saß er allein auf der verborgensten Bank des kleinen Platzes und tat, als lese er im Schatten der Mandelbäume einen Gedichtband, bis er die unerreichbare Jungfrau in der blaugestreiften Schuluniform vorbeigehen sah; sie trug Kniestrümpfe, Knabenschuhe mit gekreuzten Schuhbändern und einen einzigen dicken Zopf, der ihr, am Ende mit einer Schleife gebunden, über den Rücken bis zur Taille hing. Sie ging mit einer natürlichen Hoheit, den Kopf mit der feingeschnittenen Nase erhoben, den Blick unbewegt, mit raschem Schritt, die Schulmappe unter den gekreuzten Armen an die Brust gedrückt und mit dem Gang einer Hindin, der den Eindruck weckte, die Schwerkraft könne ihr nichts anhaben. An ihrer Seite, nur mühsam mit ihr Schritt haltend, die Tante im bräunlichen mit der Kordel gegürteten Habit des heiligen Franz. Es gab nicht die geringste Chance für eine Annäherung. Florentino Ariza sah sie hin- und wieder zurückgehen, viermal am Tag und einmal am Sonntag, wenn sie aus dem Hochamt kam, und es war ihm genug, sie anzusehen. Nach und nach idealisierte er sie, schrieb ihr unglaubliche Tugenden, imaginäre Gefühle zu, und als zwei Wochen vergangen waren, dachte er schon an nichts anderes, nur noch an sie. Also beschloß er, ihr ein schlichtes Billett zu schicken, beidseitig beschrieben mit seiner erlesenen Handschrift. Den Brief trug er jedoch mehrere Tage in der Tasche mit sich herum, während er überlegte, wie er ihn übergeben könnte, und während er darüber nachdachte, schrieb er jeweils, bevor er zu Bett ging, mehrere Seiten dazu, so daß der ursprüngliche Brief sich zu einem Lexikon der Artigkeiten auswuchs, inspiriert von den Büchern, die Florentino Ariza bei den Wartezeiten auf der Parkbank so oft gelesen hatte, daß er sie auswendig kannte.
Er bemühte sich - um ihr den Brief zukommen zu lassen -, Schülerinnen von der Präsentation de la Santisima Virgen kennenzulernen, doch waren sie seiner Welt zu fern. Außerdem erschien es ihm nach vielem Grübeln nicht ratsam, daß jemand von seinem Werben erführe. Immerhin brachte er in Erfahrung, daß Fermina Daza wenige Tage nach ihrer Ankunft zu einem Samstagstanz eingeladen worden war und daß ihr Vater ihr entschieden verboten hatte hinzugehen: »Alles zu seiner Zeit.« Der Brief umfaßte mehr als sechzig beidseitig beschriebene Bogen, als Florentino Ariza die Last seines Geheimnisses nicht länger tragen konnte und sich rückhaltlos seiner Mutter offenbarte, der einzigen Person, der er sich zuweilen anvertraute. Tránsito Ariza war zu Tränen gerührt über die Unschuld des Sohnes in Liebesdingen und versuchte, ihn nach bestem Wissen zu beraten. Sie überzeugte ihn erst einmal davon, den lyrischen Wälzer, mit dem er das Mädchen seiner Träume allenfalls in Schrecken versetzen würde, nicht zu übergeben, weil dieses in Herzensangelegenheiten vermutlich so grün war wie er. Der erste Schritt sei, sagte sie, das Mädchen auf sein Interesse aufmerksam zu machen, damit seine Erklärung es nicht unvorbereitet träfe und es Zeit zum Nachdenken hätte.
»Vor allem aber«, sagte sie, »ist die erste, die du erobern mußt, nicht sie, sondern die Tante.«
Beides waren weise
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