Die Liebe in den Zeiten der Cholera
weder Sitze noch Beleuchtung hatte, und die Helfer mußten Sitzgelegenheiten herbeischaffen und Lampen für die Pausen. Der Stil der großen Premieren in Europa wurde übernommen, was die Damen nutzten, um in der Bruthitze der Karibik mit ihren langen Kleidern und ihren Pelzmänteln zu prunken. Man mußte jedoch auch den Dienern Einlaß gewähren, damit sie die Stühle und Lampen hereintrugen und was man an Proviant zu brauchen glaubte, um die endlosen, sich mitunter bis zur Stunde der Frühmesse hinziehenden Vorstellungen zu überstehen. Die Saison wurde von einem französischen Opernensemble eröffnet, das als Neuheit eine Harfe im Orchester bot und für dessen unvergänglichen Ruhm die makellose Stimme und das dramatische Talent einer türkischen Sopranistin sorgte, die barfuß mit Edelsteinringen an den Zehen tanzte. Nach dem ersten Akt war die Bühne kaum noch zu sehen, und die Sänger verloren vom Rauch der Butterpalmöl-Lampen ihre Stimme, die Reporter der Stadt jedoch verstanden es prächtig, diese kleinen Hindernisse zu übergehen und dafür das Erinnerungswürdige hervorzuheben. Zweifellos war dies die ansteckendste Initiative von Doktor Urbino, denn das Opernfieber befiel sogar Kreise, die man nicht für anfällig gehalten hatte, und begründete eine ganze Generation von Isolden und Othellos und Aidas und Siegfrieds. Dennoch wurde es nie so heftig, wie es sich Doktor Urbino gewünscht hätte, daß nämlich die Anhänger italienischer Meister und die Wagnerianer in den Pausen mit Gehstöcken aufeinander losgegangen wären. Doktor Juvenal Urbino hatte nie offizielle Posten angenommen, die ihm immer wieder und ohne Bedingungen angetragen wurden, und er war ein scharfer Kritiker jener Ärzte, die ihr berufliches Ansehen einsetzten, um politische Positionen zu erklimmen. Obgleich man ihn immer für liberal gehalten hatte und er auch die Kandidaten dieser Partei zu wählen pflegte, tat er das mehr aus Tradition denn aus Überzeugung und war im übrigen vielleicht der letzte Sproß einer der großen Familien, der auf der Straße niederkniete, wenn die Karosse des Erzbischofs vorüberfuhr. Er selbst verstand sich als geborener Pazifist und sprach sich für eine endgültige Versöhnung zwischen Liberalen und Konservativen zum Wohle des Vaterlandes aus. Dennoch war sein Auftreten in der Öffentlichkeit so eigenwillig, daß niemand ihn ganz für sich beanspruchen mochte: Die Liberalen hielten ihn für einen vorsintflutlichen Reaktionär, die Konservativen sagten, es fehle nur noch, daß er Freimaurer sei, und die Freimaurer lehnten ihn als verkappten Kleriker ab, der im Dienst des Heiligen Stuhls stehe. Seine weniger blutrünstigen Kritiker meinten, er sei nichts weiter als ein Aristokrat, der sich an den Genüssen der Blumenspiele berausche, während die Nation in einem endlosen Bürgerkrieg verblute. Zu diesem Bild schien nur zweierlei nicht zu passen. Erstens, daß er das ehemalige Palais des Marques de Casalduero verließ, das über ein Jahrhundert lang Sitz der Familie gewesen war, um in einen Neubau in einem Neureichenviertel zu ziehen. Zweitens, die Hochzeit mit einer Dorfschönheit ohne Namen und Vermögen, über welche die Damen mit den langen Nachnamen insgeheim spotteten, bis sie sich notgedrungen davon überzeugen mußten, daß die junge Frau ihnen allen an Vornehmheit und Charakter den Rang ablief. Doktor Urbino war sonst stets darauf bedacht, mögliche Flecken an seinem Bild in der Öffentlichkeit zu vermeiden, und niemand war sich so wie er bewußt, der letzte Repräsentant eines aussterbenden Geschlechts zu sein. Seine Kinder waren nur zwei matte Schlußlichter. Marco Aurelio, der Sohn, Arzt wie er und wie alle Erstgeborenen der Familie in den vorausgegangenen Generationen, hatte die Fünfzig überschritten und bisher nichts Bemerkenswertes vollbracht. Er hatte nicht einmal einen Sohn gezeugt. Ofelia, die einzige Tochter, verheiratet mit einem höheren Angestellten einer Bank in New Orleans, hatte das Klimakterium mit drei Töchtern und keinem einzigen Sohn erreicht. Obwohl Juvenal Urbino das Versiegen seines Blutes im Strom der Geschichte schmerzte, beunruhigte ihn am Tod am meisten das - ohne ihn - einsame Leben von Fermina Daza.
Jedenfalls löste der tragische Tod nicht nur in seinem Kreis Erschütterung aus, sondern diese übertrug sich auch aufs einfache Volk, das auf die Straße lief, in der Illusion, immerhin den Widerschein der Legende zu erkennen. Es wurden drei Tage Trauer anberaumt, die
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