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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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den Tod ihres Mannes, über ihre Einsamkeit und über ihren Zorn, und als sie ins leere Schlafzimmer trat, weinte sie über sich selbst, denn seit dem Verlust ihrer Unschuld hatte sie nur selten allein in diesem Bett geschlafen. Alles, was ihrem Mann gehört hatte, schürte ihr Leid: die Pantoffeln mit Pompons, der Pyjama unter dem Kopfkissen, der ohne ihn leere Hintergrund im Mond des Toilettenspiegels, sein Geruch auf ihrer Haut. Ein vager Gedanke ließ sie erschauern: »Die Menschen, die man liebt, müßten mit all ihren Sachen sterben.« Sie wollte keine Hilfe, um zu Bett zu gehen, wollte vor dem Schlafen nichts essen. Von Schwermut niedergedrückt, bat sie zu Gott, er möge ihr in dieser Nacht den Tod schicken, und mit dieser Hoffnung legte sie sich hin, barfuß, aber angekleidet, und schlief augenblicklich ein. Sie schlief, ohne es zu wissen, wußte aber, daß sie schlafend weiterlebte, daß die Hälfte des Bettes übrig war und daß sie auf der linken Hälfte auf der Seite lag, wie immer, ihr aber das Gegengewicht des anderen Körpers auf dem Bett fehlte. Im Schlaf nachdenkend, dachte sie, daß sie nie wieder so würde schlafen können, und fing an zu schluchzen und schlief schluchzend, ohne die Stellung auf ihrer Bettseite zu ändern, bis sie sehr viel später, die Hähne hatten schon aufgehört zu krähen, von der unerwünschten Sonne eines Morgens ohne ihn geweckt wurde. Erst da merkte sie, daß sie, ohne zu sterben, lang geschlafen hatte, im Schlaf schluchzend, und daß sie, während sie schluchzend schlief, mehr an Florentino Ariza als an ihren toten Mann gedacht hatte.
     

 
     
     
    F lorentino Ariza hingegen hatte nicht einen Augenblick aufgehört, an Fermina Daza zu denken, seit sie ihn nach einer langen und angefeindeten Liebe endgültig abgewiesen hatte. Das war vor einundfünfzig Jahren, neun Monaten und vier Tagen gewesen. Er hatte nicht täglich eine Kerbe in die Kerkermauer ritzen müssen, um über das Vergessen Buch zu führen, denn kein Tag verging, an dem nicht irgend etwas geschah, was ihn an sie erinnert hätte. Zur Zeit des Bruchs lebte er zusammen mit seiner Mutter, Tránsite Ariza, in einer gemieteten Haushälfte der Calle de las Ventanas, wo diese schon seit ihren jungen Jahren ein Kurzwarengeschäft betrieb und nebenher Hemden und alte Lumpen aufzupfte, um sie dann als Watte für die Kriegsverletzten zu verkaufen. Er war ihr einziger Sohn, den sie aus einer Liebesaffäre mit dem bekannten Reeder Don Pio Quinto Loayza hatte, einem jener drei Brüder, die die Karibische Flußschiffahrtskompanie gegründet und damit der Dampfschiffahrt auf dem Magdalena neuen Auftrieb gegeben hatten. Don Pio Quinto Loayza starb, als der Sohn zehn Jahre alt war. Obwohl er sich insgeheim immer um dessen Unterhalt gekümmert hatte, erkannte er ihn vor dem Gesetz nie an und sorgte auch nicht für seine Zukunft vor, so daß Florentino Ariza nur der Nachname der Mutter blieb, wenngleich seine tatsächliche Herkunft allgemein bekannt war. Nach dem Tod seines Vaters mußte Florentino Ariza von der Schule abgehen und eine Stelle als Lehrling bei der Post annehmen, wo er die Aufgabe hatte, Postsäcke zu öffnen, Briefe zu sortieren und die Bevölkerung von der Ankunft der Postschiffe zu unterrichten, indem er am Eingang des Postamts die Fahne des Herkunftslandes hißte.
    Seine Umsicht fiel dem Telegraphisten Lothario Thugut auf, einem deutschen Emigranten, der im übrigen bei den wichtigen Zeremonien in der Kathedrale Orgel spielte und zum Musikunterricht in die Häuser der Schüler kam. Lothario Thugut brachte ihm das Morsealphabet bei sowie den Umgang mit dem Telegraphen, und schon nach den ersten Geigenlektionen spielte Florentino Ariza nach Gehör wie ein Berufsmusiker. Als er Fermina Daza kennenlernte, war er in seinen Kreisen der begehrteste junge Mann, derjenige, der die Modetänze am besten beherrschte, sentimentale Poesie auswendig rezitieren konnte und seinen Freunden stets zur Verfügung stand, wenn es darum ging, deren Liebsten ein Violinständchen zu bringen. Er war schon damals hager, hatte steifes Indiohaar, das mit Duftpomade gezähmt war, und die geschliffenen Brillengläser des Kurzsichtigen verstärkten noch den Eindruck seiner Hilflosigkeit. Neben dem Sehfehler litt er an chronischer Verstopfung, die ihn sein Lebtag zwang, abführende Spülungen vorzunehmen. Er besaß einen einzigen Kirchgangsanzug, ein Erbe seines Vaters, doch von Tránsite Ariza so gut gepflegt, daß er jeden Sonntag wie neu

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