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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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ermattet von einem schlechten Traum aufwachte, daß die Puppe gewachsen war: Das niedliche Kleid, in dem sie gekommen war, ließ jetzt schon die Schenkel frei, und die Schuhe waren vom Druck der Füße geplatzt. Fermina Daza hatte von afrikanischen Hexereien gehört, aber keine davon erschien ihr so beängstigend wie diese. Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, daß ein Mann wie Juvenal Urbino einer solchen Greueltat fähig gewesen sein könnte. Sie hatte recht: Die Puppe war nicht von dem Kutscher gebracht worden, sondern von einem zufällig vorbeikommenden Krabbenverkäufer, über den niemand Genaueres berichten konnte. Bei dem Versuch, das Rätsel zu lösen, dachte Fermina Daza einen Augenblick lang an Florentino Ariza, dessen düstere Verfassung sie ängstigte, doch das Leben sollte sie eines Besseren belehren. Das Geheimnis wurde nie aufgeklärt, und der bloße Gedanke daran ließ sie noch vor Entsetzen erschauern, als sie schon lange verheiratet war, Kinder hatte und sich für die Erwählte des Schicksals hielt: die Glücklichste.
    Der letzte Versuch Doktor Urbinos bestand darin, Schwester Franca de la Luz, die Oberin der Schule Presentación de la Santísima Vírgen, als Vermittlerin einzuschalten. Diese konnte sich nicht dem Anliegen einer Familie verschließen, die den Orden seit seiner Niederlassung in Amerika gefördert hatte. Sie erschien um neun Uhr morgens, begleitet von einer Novizin, und beide mußten sich eine halbe Stunde lang die Zeit mit den Vogelbauern vertreiben, bis Fermina Daza ihr Bad beendet hatte. Die Nonne war eine viril anmutende Deutsche mit einem metallischen Akzent und einem herrischen Blick, der in keiner Beziehung zu ihren kindischen Leidenschaften stand. Es gab nichts und niemanden auf dieser Welt, den Fermina Daza mehr haßte als diese Frau und alles, was mit ihr zu tun hatte. Schon bei der Erinnerung an ihr falsches Mitleid spürte sie im Leib ein Stechen wie von Skorpionen. Es genügte ihr, sie von der Badezimmertür aus wiederzuerkennen, und schon wurden auf einen Schlag die Qualen der Schulzeit wieder für sie lebendig, die unerträgliche Müdigkeit bei der täglichen Messe, die Angst vor Prüfungen, der servile Eifer der Novizinnen, dieses ganze Leben, das gebrochen wurde durch das Prisma der Armut im Geiste. Schwester Franca de la Luz begrüßte sie hingegen mit einer Begeisterung, die ehrlich zu sein schien. Sie staunte darüber, wie groß und reif Fermina geworden war, und lobte die Umsicht, mit der sie den Haushalt führte, den geschmackvollen Patio, das Kohlebecken mit den Orangenblüten. Sie befahl der Novizin, dort auf sie zu warten, aber nicht den Raben zu nahe zu kommen, die ihr, wenn sie nicht aufpasse, die Augen aushacken könnten, und suchte einen abgelegenen Platz, um sich mit Fermina Daza unter vier Augen zu unterhalten. Diese bat sie in den Salon.
    Es war ein kurzer und schroffer Besuch. Schwester Franca de la Luz verlor keine Zeit mit Preliminarien und bot Fermina Daza sogleich die ehrenvolle Rehabilitierung an. Der Ausschlußgrund sollte nicht nur aus den Akten, sondern auch aus dem Gedächtnis des Ordens getilgt werden, so daß sie die Schule beenden und das Bakkalaureat erwerben könnte. Fermina Daza war verblüfft und wollte den Grund erfahren. »Die Fürsprache einer Person, die alles verdient und deren einziger Wunsch es ist, dich glücklich zu machen«, sagte die Nonne. »Weißt du, wer das ist?«
    Da begriff sie. Sie fragte sich, mit welcher Berechtigung eine Frau als Liebesbotin auftrat, die ihr das Leben wegen eines unschuldigen Briefes zerstört hatte, wagte aber nicht, das laut zu sagen. Statt dessen sagte sie, ja, sie kenne diesen Mann und wisse deshalb auch, daß er keinerlei Recht habe, sich in ihr Leben einzumischen.
    »Er fleht dich nur um eins an, du sollst ihm die Gunst eines fünfminütigen Gesprächs gewähren«, sagte die Nonne. »Ich bin sicher, daß dein Vater einverstanden sein wird.« Fermina Dazas Zorn wuchs bei dem Gedanken, daß ihr Vater ein Komplize dieses Besuchs sein könnte. »Wir haben uns zweimal gesehen, als ich krank war«, sagte sie. »Jetzt gibt es keinerlei Anlaß dafür.« »Für jede Frau mit zweifingerbreit Stirn ist dieser Mann ein Geschenk des Himmels«, sagte die Nonne. Sie sprach dann von seinen Tugenden, von seiner Gläubigkeit, daß er sich dem Dienst am leidenden Nächsten verschrieben habe. Während sie redete, schüttelte sie einen goldenen Rosenkranz mit einem aus Elfenbein geschnitzten Christus aus

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