Die Liebe in den Zeiten der Cholera
aus der Abtei von Flavigny. Dieser und auch der folgende waren von Doktor Urbinos Kutscher, der Gala Placidia vom Wagenfenster aus gegrüßt hatte, bis ans Hausportal getragen worden, damit erstens nicht daran gezweifelt werden konnte, daß er die Briefe überbracht hatte, und zweitens, damit niemand hätte behaupten können, sie seien nicht angekommen. Im übrigen waren beide Briefe mit dem Lackmonogramm versiegelt und in der Geheimschrift gekritzelt, die Fermina Daza schon kannte: die Schrift eines Arztes. In beiden stand im wesentlichen das gleiche wie im ersten Brief, und es sprach auch die gleiche ergebene Haltung daraus, doch hinter dieser Wohlanständigkeit war ein Verlangen zu spüren, das in Florentino Arizas gemessenen Briefen nie offenbar geworden war. Fermina Daza las sie, sobald sie -im Abstand von zwei Wochen - abgegeben worden waren, und als sie sie schon verbrennen wollte, kam sie plötzlich, ohne sich selbst darüber Rechenschaft abzulegen, von diesem Vorsatz ab. Dennoch dachte sie nie daran, die Briefe zu beantworten.
Der dritte Brief im Oktober war unter der Eingangstür hindurchgeschoben worden und unterschied sich in jeder Hinsicht von den vorherigen. Die Schrift wirkte so ungelenk, daß sie zweifellos mit der linken Hand geschrieben war, doch das wurde Fermina Daza erst klar, als der Text selbst den Brief als infames anonymes Geschreibsel entlarvte. Die Person, die das geschrieben hatte, ging davon aus, daß Fermina Daza Doktor Juvenal Urbino mit einem Liebestrank verhext habe, und zog aus dieser Vermutung finstere Schlüsse. Der Brief endete mit einer Drohung: Sollte Fermina Daza nicht auf ihre Absicht verzichten, sich den begehrtesten Mann der Stadt zu kapern, werde man sie der öffentlichen Schande ausliefern.
Sie fühlte sich als Opfer einer empörenden Ungerechtigkeit, reagierte aber nicht rachsüchtig, ganz im Gegenteil: Am liebsten hätte sie den Verfasser des anonymen Briefs ausfindig gemacht, um ihn mit jeder nur erforderlichen Erklärung von seinem Irrtum abzubringen, denn sie war sich ganz sicher, daß es für sie niemals einen Grund geben könnte, auf die Anträge von Juvenal Urbino einzugehen. In den darauffolgenden Tagen erhielt sie zwei weitere Briefe ohne Unterschrift, sie waren so perfide wie der erste, doch keiner der drei schien von derselben Hand geschrieben zu sein. Entweder war sie das Opfer einer Verschwörung, oder aber die falsche Kunde ihrer heimlichen Liebschaft hatte weitere Kreise gezogen, als zu vermuten gewesen wäre. Der Gedanke, daß dies alles Folge einer simplen Indiskretion von Juvenal Urbino sein könnte, beunruhigte sie. Vielleicht, überlegte sie, war er nicht so distinguiert, wie er aussah, vielleicht ging ihm bei seinen Hausbesuchen die Zunge durch, vielleicht prahlte er wie so viele Männer seiner Klasse mit eingebildeten Eroberungen. Sie erwog, ihm zu schreiben, um ihm die Schmach vorzuwerfen, die er ihr antat, kam aber von diesem Vorhaben ab, da Juvenal Urbino womöglich gerade das erreichen wollte. Sie horchte die Freundinnen aus, die zum Malen zu ihr ins Nähzimmer kamen, doch denen waren nur wohlwollende Kommentare über das Klavierständchen zu Ohren gekommen. Sie fühlte sich ohnmächtig und gedemütigt, war wütend. Ganz anders als zu Anfang, als sie dem unsichtbaren Feind noch hatte begegnen wollen, um ihn von seinem Irrtum zu überzeugen, hatte sie jetzt nur noch den Wunsch, ihn mit der Gartenschere in Hackfleisch zu verwandeln. Sie verbrachte schlaflose Nächte, analysierte, in der Hoffnung, auch nur die Ahnung einer Fährte zu finden, Ausdrucksweise und einzelne Merkmale der anonymen Briefe. Es war eine vergebliche Hoffnung: Die innere Welt der Urbinos de la Calle war Fermina Daza im Wesen fremd. Sie hatte zwar Waffen, um ihren guten Künsten, nicht aber den bösen zu begegnen.
Diese Erkenntnis wurde noch bitterer nach der Schreckensgeschichte mit der Negerpuppe, die in jenen Tagen ohne Begleitbrief ankam, deren Herkunft ihr jedoch leicht bestimmbar schien: Nur Doktor Juvenal Urbino konnte sie ihr geschickt haben. Sie war, nach dem Originaletikett zu schließen, in Martinique gekauft worden, hatte ein entzückendes Kleid an, Goldsträhnen im gelockten Haar und schloß die Augen, wenn man sie hinlegte. Fermina Daza hatte so viel Spaß an ihr, daß sie sich über ihre Skrupel hinwegsetzte und sie tagsüber auf ihr Kopfkissen legte. Sie gewöhnte sich dann auch daran, mit ihr zu schlafen. Nach einiger Zeit jedoch entdeckte sie, als sie einmal
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