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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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brünstiges Tier ächzten. Für jedes Gläschen seines Gastes hatte er drei getrunken und legte erst eine Pause ein, als er merkte, daß sie einander nicht mehr sehen konnten, und stand auf, um die L ampe anzuzünden. Doktor Juvenal Urbino sah sein Gesicht in dem neuen Licht, sah, daß ein Auge seitwärts verdreht war wie bei einem Fisch und seine Worte nicht mit den Lippenbewegungen übereinstimmten, und meinte daher, wegen übermäßigen Alkoholgenusses selbst an Halluzinationen zu leiden. Daraufhin erhob er sich mit dem faszinierenden Gefühl, sich in einem Körper zu bewegen, der nicht der seine war, sondern jemand gehörte, der immer noch auf seinem Stuhl saß, so daß er eine große Anstrengung unternehmen mußte, um nicht den Verstand zu verlieren.
    Sieben Uhr war vorbei, als er hinter Lorenzo Daza das Arbeitszimmer verließ. Es war Vollmond. Der vom Anisschnaps verklärte Patio trieb am Grund eines Aquariums, und die mit Tüchern bedeckten Vogelbauer glichen schlafenden Gespenstern im heißen Dutt der neuen Orangenblüten. Das Fenster des Nähzimmers war geöffnet, auf dem Arbeitstisch stand eine brennende Lampe, und die noch nicht beendeten Bilder standen wie in einer Ausstellung auf den Staffeleien. »Wo bist du, die du nicht hier bist«, sagte Doktor Urbino im Vorbeigehen, doch Fermina Daza hörte ihn nicht, sie konnte ihn nicht hören, denn sie weinte vor Wut in ihrem Schlafzimmer. Sie hatte sich bäuchlings auf das Bett geworfen und wartete auf ihren Vater, er sollte ihr die Demütigung des Nachmittags bezahlen. Juvenal Urbino hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, sich von ihr zu verabschieden, aber Lorenzo Daza schlug es nicht vor. So sehnte der Arzt sich nach ihrem unschuldigen Puls, nach ihrer Katzenzunge, ihren zarten Mandeln, doch der Gedanke, sie könnte ihn nie wieder sehen wollen noch zulassen, daß er versuchte, sie zu sehen, nahm ihm den Mut. Als Lorenzo Daza in die Eingangshalle trat, stießen die unter ihren Laken noch wachen Raben ein düsteres Kreischen aus. »Sie werden dir die Augen auspicken«, sagte der Arzt laut und dachte an Fermina Daza. Lorenzo Daza drehte sich um, fragte, was er gesagt habe.
    »Das war nicht ich«, sagte Juvenal Urbino, »das war der Anis.«
    Lorenzo Daza begleitete ihn bis zur Kutsche und versuchte, ihm den Goldpeso für den zweiten Hausbesuch aufzudrängen, Juvenal Urbino nahm ihn jedoch nicht an. Er gab dem Kutscher korrekte Anweisungen, er solle ihn zu den zwei Kranken fahren, die er noch sehen mußte, und stieg dann ohne Hilfe in den Wagen. Beim Gerüttel auf dem Kopfsteinpflaster wurde ihm aber allmählich übel, so daß er dem Kutscher befahl, die Richtung zu ändern. Er schaute einen Augenblick in den Wagenspiegel und sah, daß auch sein Spiegelbild noch immer an Fermina Daza dachte. Er zog die Schultern hoch. Schließlich rülpste er, ließ den Kopf auf die Brust fallen und schlief ein. Im Traum hörte er dann Totenglocken. Zuerst hörte er die der Kathedrale und dann die aller anderen Kirchen, eine nach der anderen. Schließlich die gesprungenen Läutwerke von San Julian el Hospitalario. »Scheiße«, murmelte er im Schlaf, »die Toten sind gestorben.« Seine Mutter und seine Schwestern nahmen gerade am Bankettisch im großen Eßzimmer ihr Abendessen ein, Milchkaffee mit Quarkgebäck, als sie ihn in der Tür erscheinen sahen, das Gesicht starr und der ganze Mann entehrt vom Nuttenparfum der Raben. Die Hauptglocke der nahen Kathedrale hallte im riesigen Hohlraum des Hauses wider. Besorgt fragte seine Mutter, wo er denn gesteckt habe, sie hätten ihn überall gesucht, weil er General Ignacio Maria, den letzten Enkel des Marques de Jaraiz de la Vera, behandeln sollte, den an jenem Nachmittag ein Gehirnschlag niedergestreckt habe: Für ihn läuteten die Glocken. Doktor Juvenal Urbino hörte seine Mutter, ohne zu hören, was sie sagte, er hielt sich am Türrahmen fest und machte dann kehrt, um zu seinem Zimmer zu gehen, schlug aber in einer Explosion von erbrochenem Anis der Länge nach hin. »Heilige Maria Mutter Gottes«, schrie seine Mutter. »Da muß schon etwas sehr Seltsames geschehen sein, wenn du dich zu Hause in einem solchen Zustand blicken läßt.« Das Seltsamste war jedoch noch nicht geschehen. Doktor Juvenal Urbino nützte den Besuch des bekannten Pianisten Romeo Lussich, der, sobald sich die Stadt von der Trauer um General Ignacio Maria erholt hatte, einen Zyklus von Mozart-Sonaten vortrug, und ließ das Klavier der Musikhochschule auf einen

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