Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Sánchez, die vor vierzehn Jahren gestorben war. Die Entscheidungen traf jedoch Fermina Daza. Sie ordnete an, was es zu essen geben sollte, was eingekauft werden mußte, wie in jedem einzelnen Fall zu verfahren sei, und bestimmte auf diese Weise das Leben eines Hauses, in dem es in Wirklichkeit nichts zu bestimmen gab. Wenn sie die Käfige gesäubert, den Vögeln Futter hingestellt und sich darum gekümmert hatte, daß die Blumen versorgt waren, hatte sie kein Ziel mehr. Seitdem man sie aus der Schule ausgeschlossen hatte, war sie schon mehrmals zur Siestazeit eingeschlafen und bis zum nächsten Tag nicht aufgewacht. Und der Malunterricht war nur eine vergnüglichere Art, Zeit totzuschlagen. Das Verhältnis zu ihrem Vater litt seit dem Exil der Tante Escolástica an mangelnder Zuneigung, beide hatten aber eine Form gefunden, miteinander zu leben, ohne sich im Wege zu sein. Wenn sie aufstand, war er schon geschäftlich unterwegs. Selten nur fehlte er beim Ritual des Mittagessens, obwohl er fast nie etwas aß, da ihm die Aperitifs und die spanischen Tapas im Cafè de la Parroquia genügten. Er aß auch nicht zu Abend. Sie ließen ihm einen Teller mit seiner Portion auf dem Tisch stehen, mit einem anderen Teller abgedeckt, obgleich sie wußten, daß er sie erst am nächsten Tag aufgewärmt zum Frühstück essen würde. Einmal pro Woche gab er der Tochter das Haushaltsgeld, von ihm genau berechnet und von ihr streng verwaltet, ging aber bei unvorhergesehenen Ausgaben bereitwillig auf jede Bitte ihrerseits ein. Nie feilschte er mit ihr um einen Quartillo, bat nie um eine Abrechnung, sie verhielt sich jedoch so, als habe sie sich vor dem Tribunal der Inquisition zu verantworten. Nie hatte er ihr von Art und Gang seiner Geschäfte erzählt, er hatte sie auch nie mitgenommen, um seine Hafenbüros kennenzulernen, da sie in einer Gegend lagen, die für anständige junge Damen selbst in Begleitung ihrer Eltern verboten war. Lorenzo Daza kam gewöhnlich kurz vor zehn Uhr abends heim, dann begann in weniger kritischen Kriegszeiten die Ausgangssperre. Bis dahin saß er bei irgendeinem Spiel im Cafe de la Parroquia, denn er war ein Fachmann in allen Gesellschaftsspielen und zudem ein guter Lehrer. Immer kam er bei vollem Bewußtsein und ohne die Tochter dabei zu wecken nach Hause, und das, obwohl er beim Aufwachen den ersten Anis trank und den ganzen Tag über, an seiner ausgegangenen Zigarre kauend, weiter in Abständen seine Schnapsgläschen leerte. Eines Nachts aber hörte Fermina Daza, wie er ins Haus kam. Sie hörte seine Kosakenschritte auf den Treppen, sein mächtiges Schnaufen auf dem Gang im zweiten Stock und wie er dann mit den Handflächen gegen ihre Zimmertür schlug. Sie öffnete ihm und erschrak zum ersten Mal über sein abgeirrtes Auge und seine schwerzüngigen Worte.
»Wir sind ruiniert«, sagte er, »total ruiniert, jetzt weißt du es.«
Das war alles, was er sagte, und er sagte es nie wieder, es geschah auch nichts, woraus man hätte schließen können, ob er die Wahrheit gesagt hatte, seit jener Nacht aber war Fermina Daza bewußt, daß sie allein auf der Welt war. Ihre ehemaligen Mitschülerinnen wohnten in einem ihr verwehrten Himmel, erst recht nach ihrem unehrenhaften Ausschluß, und sie war auch nicht die Nachbarin ihrer Nachbarn, da diese sie ohne Vergangenheit und in der Schuluniform der Presentación de la Santísima Vírgen kennengelernt hatten. Die Welt ihres Vaters war die der Händler und Stauer, der Kriegsflüchtlinge in ihrem Stammlokal, dem Café de la Parroquia - eine Männerwelt. Im vergangenen Jahr hatten die Malstunden ihre Abgeschiedenheit etwas gemildert, da die Lehrerin den Gemeinschaftsunterricht vorzog und andere Schülerinnen in das Nähzimmer mitzubringen pflegte. Doch es waren Mädchen aus unterschiedlichen und schlecht bestimmbaren sozialen Kreisen, und sie waren für Fermina Daza nur Freundinnen auf Pump, deren Zuneigung mit der Unterrichtsstunde endete. Hildebranda wollte das Haus öffnen, frische Luft hereinlassen, die Musiker, die Raketen und die Feuerwerkskünste ihres Vaters heranschaffen und einen Karnevalsball veranstalten, dessen Ungestüm dem Mottenfraß im Gemüt der Kusine ein Ende setzen sollte. Sie merkte jedoch bald, daß ihre Vorsätze sinnlos waren. Aus einem einfachen Grund: Es gehörten eben mehr dazu als zwei. Jedenfalls war sie es, die Fermina ins Leben zurückholte. Nachmittags, nach den Malstunden, ließ sie sich ausführen, um die Stadt kennenzulernen. Fermina
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