Die Liebe in den Zeiten der Cholera
ihrem Ärmel und fuchtelte damit vor Fermina Dazas Augen herum. Es war eine Familienreliquie, mehr als hundert Jahre alt, von einem Goldschmied aus Siena geschnitzt und von Clemens IV. gesegnet. »Es gehört dir«, sagte sie.
Fermina Daza spürte, wie ihr das Blut durch die Adern stürzte, und faßte Mut.
»Ich begreife nicht, wie Sie sich für so etwas hergeben«, sagte sie, »da für Sie Liebe doch Sünde ist.« Schwester Franca de la Luz überging die Bemerkung, doch ihre Lider röteten sich. Sie ließ den Rosenkranz immer noch vor den Augen des Mädchens pendeln. »Du tätest gut daran, dich mit mir zu verständigen«, sagte sie, »denn nach mir könnte der Erzbischof kommen, und das ist ein anderes Lied.«
»Er soll nur kommen«, sagte Fermina Daza. Schwester Franca de la Luz versteckte den goldenen Rosenkranz wieder in ihrem Ärmel. Dann holte sie aus dem anderen ein nicht mehr ganz frisches zusammengeknäultes Taschentuch, behielt es in der geschlossenen Faust und schaute Fermina Daza von weither mit einem mitleidigen Lächeln an.
»Mein armes Kind«, seufzte sie, »du denkst immer noch an diesen Mann.«
Fermina Daza hatte an der Dreistigkeit zu schlucken. Sie schaute die Nonne an, ohne mit der Wimper zu zucken, schaute ihr fest in die Augen, sagte nichts, während sie still mit ihrer Empörung kämpfte, bis sie mit unendlicher Genugtuung bemerkte, daß sich die Männeraugen der Nonne mit Tränen füllten. Schwester Franca de la Luz trocknete sie mit dem Taschentuchknäuel und stand auf. »Dein Vater hat völlig recht«, sagte sie, »du bist ein Maulesel.«
Der Erzbischof kam nicht. So hätte die Belagerung an jenem Tag enden können, wäre nicht Hildebranda Sánchez gekommen, um mit der Kusine Weihnachten zu verbringen, was beider Leben veränderte. Sie wurde um fünf Uhr morgens vom Schoner aus Riohacha abgeholt. In der Menge von elendiglich seekranken Passagieren verließ eine strahlende Hildebranda das Schiff, sie wirkte sehr fraulich und war aufgeregt von der schlechten Nacht auf See. Sie hatte lebende Truthähne und körbevoll die vielen Früchte ihrer reichen Ebene mitgebracht - niemand sollte während ihres Besuchs Hunger leiden. Lisimaco Sánchez, ihr Vater, ließ anfragen, ob es an Musikern für die Festtage mangele, er habe die besten an der Hand, und versprach, eine Ladung Feuerwerkskörper nachzuschicken. Außerdem kündigte er an, daß er nicht vor März die Tochter holen kommen könne, es war also genug Zeit, um zu leben.
Die beiden Kusinen fingen sofort damit an. Vom ersten Abend an badeten sie nackt zusammen und wuschen einander mit dem Wasser aus der Zisterne. Sie halfen sich beim Einseifen, entfernten sich gegenseitig die Nissen, verglichen ihre Hintern, ihre starren Brüste, die eine betrachtete sich im Spiegel der anderen, um ermessen zu können, wie grausam die Zeit mit ihnen umgegangen war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Hildebranda war groß und stämmig, von goldener Hautfarbe, doch das Haar an ihrem Körper war das einer Mulattin, kurz und kraus wie Stahlwolle. Fermina Daza hingegen war von einer blassen Nacktheit, sie hatte lange Körperlinien, eine gelassene Haut und glatte Vliese. Gala Placidia hatte ihnen zwei gleiche Betten ins Schlafzimmer gestellt, doch manchmal legten sie sich zusammen in eins und schwatzten bei gelöschtem Licht bis zum Morgengrauen. Sie rauchten wie die Straßenräuber Panetella-Stumpen, die Hildebranda im Futter ihres Kabinenkoffers versteckt mitgebracht hatte, und mußten danach armenisches Papier verbrennen, um die Spelunkenluft, die sie im Zimmer verbreiteten, zu reinigen. Fermina Daza hatte in Valledupar zum ersten Mal geraucht und hatte es in Fonseca und auch in Riohacha fortgesetzt, wo sich bis zu zehn Kusinen in einem Zimmer einschlössen, um heimlich zu rauchen und über Männer zu reden. Sie lernte mit der Glut im Mund zu rauchen wie die Männer in Kriegsnächten, um nicht von den glimmenden Zigaretten verraten zu werden. Aber sie hatte nie allein geraucht. Als Hildebranda bei ihr zu Besuch war, machte sie es jede Nacht vor dem Schlafengehen, und es wurde ihr zur Gewohnheit, die sie beibehielt, allerdings immer heimlich, sogar vor ihrem Mann und ihren Kindern, nicht nur, weil es sich für eine Frau nicht schickte, in der Öffentlichkeit zu rauchen, sondern weil die Heimlichkeit für sie zum Genuß gehörte.
Auch Hildebranda war die Reise von ihren Eltern verordnet worden, um sie von ihrer unmöglichen Liebe fernzuhalten, man
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