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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Maultierkarren schaffen, um Fermina Daza eine Serenade vorzutragen, die Geschichte machte. Sie wachte bei den ersten Takten auf und mußte nicht durch die Spitzengardinen des Balkonfensters schauen, um zu wissen, wer diese außergewöhnliche Huldigung angeregt hatte. Sie bedauerte nur, nicht den Mut anderer verärgerter Jungfrauen zu haben, die den Nachttopf auf den Kopf des unerwünschten Verehrers geleert hatten. Lorenzo Daza hingegen zog sich im Verlauf der Serenade hastig an, und nachdem sie zu Ende war, bat er Doktor Juvenal Urbino und den Pianisten, die nach dem Konzert gleich im Abendanzug gekommen waren, in den Salon und dankte ihnen mit einem Glas guten Brandy für das Ständchen.
    Fermina Daza bemerkte sehr bald, daß ihr Vater versuchte, sie weichzustimmen. Am Tag nach der Serenade hatte er beiläufig gesagt: »Denk nur, wie sich deine Mutter fühlen würde, wüßte sie, daß ein Urbino de la Calle um dich wirbt.« Die Tochter erwiderte barsch: »Sie würde sich im Grab umdrehen.« Die Freundinnen, die mit ihr zusammen malten, berichteten ihr, daß Lorenzo Daza von Doktor Juvenal Urbino zum Essen in den Club Social eingeladen worden sei und daß dieser eine strenge Zurechtweisung wegen Nichtbeachtung der Hausordnung hätte hinnehmen müssen. Erst da erfuhr sie auch, daß ihr Vater mehrmals die Aufnahme in den Club Social beantragt hatte, man ihn aber mit so vielen Gegenstimmen abgelehnt hatte, daß ein erneuter Antrag nicht möglich war. Lorenzo Daza jedoch verarbeitete solche Demütigungen mit der Leber eines guten Küfers. Er ließ sich so manches einfallen, um den Arzt zufällig zu treffen, und merkte dabei nicht, daß es Juvenal Urbino war, der alles nur Mögliche tat, um sich finden zu lassen. Ab und zu unterhielten sie sich stundenlang in Lorenzo Dazas Arbeitszimmer, dann blieb im Haus die Zeit stehen, da Fermina nicht zuließ, daß das Leben, solange er nicht verschwunden war, weiterging. Das Cafe de la Parroquia war für sie ein günstiger Anlaufhafen. Lorenzo Daza führte Juvenal Urbino dort in die Anfangsgründe des Schachspiels ein, und dieser war ein so eifriger Schüler, daß für ihn das Schach zur unheilbaren Sucht wurde, die ihm bis zum Tag seines Todes zusetzen sollte.
    Eines Abends, kurz nach dem Klavierständchen, fand Lorenzo Daza im Hausflur einen Brief, der an seine Tochter adressiert war und das Monogramm JUC in den Siegellack geprägt hatte. Als er an Ferminas Zimmer vorbeiging, schob er ihn unter der Tür durch. Sie konnte sich nicht erklären, wie er bis dorthin gelangt war, es war für sie unvorstellbar, daß ihr Vater sich so gewandelt haben könnte und ihr den Brief eines Verehrers brachte. Sie legte den Brief auf den Nachttisch, ohne recht zu wissen, was sie mit ihm anfangen sollte, und dort blieb er mehrere Tage geschlossen liegen, bis Fermina Daza an einem regnerischen Nachmittag träumte, Juvenal Urbino sei wieder ins Haus gekommen, um ihr den Spatel zu schenken, mit dem er ihren Hals untersucht hatte. Der Spatel im Traum war nicht aus Aluminium, sondern aus einem wohlschmeckenden Metall, von dem sie in einem anderen Traum mit Genuß gekostet hatte, daher zerbrach sie den Spatel in zwei ungleiche Hälften und reichte ihm die kleinere.
    Als sie aufwachte, öffnete sie den Brief. Er war kurz und sorgfältig geschrieben und enthielt nur Juvenal Urbinos Bitte, sie möge ihm gestatten, bei ihrem Vater die Erlaubnis für Besuche einzuholen. Seine schlichte und ernsthafte Art beeindruckte sie, so daß der mit so viel Hingabe so viele Tage gepflegte Zorn sich plötzlich milderte. Sie verwahrte den Brief in einem unbenutzten Kästchen ganz unten in der Reisetruhe, erinnerte sich dann aber daran, daß sie dort auch die parfümierten Briefe von Florentino Ariza aufbewahrt hatte, worauf sie, von einer Woge der Scham ergriffen, den Brief aus dem Kästchen nahm, um einen anderen Platz dafür zu suchen. Sie hielt es für das Dezenteste, so zu tun, als hätte sie ihn nicht erhalten, verbrannte ihn über der Lampe und sah zu, wie die Siegellacktropfen in der Flamme blaue Bläschen warfen und zerplatzten. »Der arme Mann«, seufzte sie. Da fiel ihr plötzlich auf, daß sie dies zum zweiten Mal in wenig mehr als einem Jahr sagte. Einen Augenblick lang dachte sie an Florentino Ariza und war selbst erstaunt darüber, wie fern er ihrem Leben war: der arme Mann. Im Oktober kamen mit den letzten Regenfällen drei weitere Briefe, der erste begleitet von einem Schächtelchen mit Veilchenpastillen

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