Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Mensch, der sie mehr als jeder andere liebte und immer und ewig lieben würde, nicht einmal das Recht haben würde, für sie zu sterben. Die Eifersucht, die bis dahin in Tränen erstickt worden war, nahm von seiner Seele Besitz. Er flehte zu Gott, der Blitz der himmlischen Gerechtigkeit möge Fermina Daza erschlagen, wenn sie sich anschickte, einem Mann Liebe und Gehorsam zu geloben, der sie nur als repräsentatives Dekorationsstück an seiner Seite wollte, und berauschte sich an einer Vision, bei der die Braut, die ihm oder keinem gehören sollte, hingestreckt auf den Fliesen der Kathedrale lag, die Orangenblüten starr vom Rauhreif des Todes, während die schäumende Flut ihres Schleiers sich über die marmornen Grabplatten der vierzehn Bischöfe ergoß, die vor dem Hauptaltar bestattet lagen. Hatte er jedoch so die Rache ausgekostet, bereute er seine Gemeinheit und sah, wie Fermina Daza unbeschädigt atmete und wieder aufstand, abwesend, doch lebendig, denn er konnte sich eine Welt ohne sie nicht vorstellen. Er schlief nicht mehr, und wenn er sich einmal hinsetzte, um ein wenig zu essen, dann in der Illusion, daß Fermina Daza am Tisch säße, oder aber er aß nur, um ihr nicht die Ehre des Fastens zu erweisen. Zuweilen tröstete er sich mit der Gewißheit, daß im Rausch des Hochzeitsfestes oder sogar während der fiebrigen Nächte des Honigmonds einmal, wenigstens einen Augenblick lang, das Gespenst des verhöhnten, gedemütigten, zurückgestoßenen Verlobten in Fermina Dazas Gewissen spuken und ihr das Glück verderben würde.
Am Vorabend der Ankunft in Caracoli, dem Hafen, an dem die Reise endete, gab der Kapitän das traditionelle Abschiedsfest. Eine Blaskapelle, aus Mitgliedern der Besatzung bestehend, spielte auf, und von der Kommandobrücke aus wurde buntes Feuerwerk gezündet. Der Gesandte von Großbritannien hatte die Odyssee mit beispielhaftem Stoizismus überstanden, indem er mit dem Fotoapparat Bilder von den Tieren schoß, die er nicht mit dem Gewehr erlegen durfte, und es war keine Nacht vergangen, in der man ihn nicht im Abendanzug im Eßsaal gesehen hätte. Beim Abschlußfest aber erschien er in der Schottentracht des Mac Tavish-Clans, spielte auf Wunsch Dudelsack und brachte jedem, der es wollte, die Tänze seiner Heimat bei. Kurz vor Tagesanbruch mußte er dann in seine Kabine geschleift werden. Florentino Ariza hatte sich, vom Schmerz gezeichnet, in den abgelegensten Winkel auf Deck verzogen, wo ihn der Festtrubel nicht erreichen konnte, und hatte sich, um dem Schüttelfrost in seinen Knochen zu begegnen, mit Lothario Thuguts Mantel zugedeckt. Er war um fünf Uhr früh aufgewacht, wie ein zum Tode Verurteilter am Morgen seiner Exekution aufwacht. Den ganzen Sonnabend über hatte er nichts anderes getan, als sich Minute für Minute jede Einzelheit von Fermina Dazas Hochzeit vorzustellen. Später, nach seiner Heimkehr, stellte er fest, daß er sich in der Zeit geirrt hatte und alles ganz anders gewesen war, als er es sich vorgestellt hatte. Da hatte er dann sogar die innere Überlegenheit, über seine Phantastereien zu lachen.
Auf jeden Fall aber war es ein Sonnabend der Leidenschaft gewesen, der in einer neuen Fieberkrise gipfelte, als Florentino Ariza meinte, nun sei der Augenblick gekommen, da sich die Frischvermählten heimlich durch eine versteckte Tür davonstahlen, um sich den Wonnen der ersten Nacht hinzugeben. Jemand, der ihn vor Hitze schlottern sah, gab dem Kapitän Bescheid, und dieser verließ mit dem Schiffsarzt das Fest, in der Befürchtung, daß es sich um einen Fall von Cholera handeln könne. Der Arzt steckte Florentino Ariza vorsichtshalber mit einer ordentlichen Dosis Bromid in die Quarantäne-Kabine. Am nächsten Tag jedoch, als sie die Steilfelsen von Caracoli sichteten, war das Fieber gewichen und Florentino Ariza in überspannter seelischer Verfassung, da er sich im Bewußtseinsschwund der Beruhigungsmittel ohne weitere Überlegungen ein für allemal dazu entschlossen hatte, die glänzende Zukunft der Telegraphie zum Teufel zu schicken und auf dem selben Dampfer zu seiner alten Calle de las Ventanas zurückzukehren. Er bekam ohne weiteres freie Rückfahrt, schon weil er dem Stellvertreter der Königin Viktoria seine Kabine abgetreten hatte. Allerdings versuchte auch der Kapitän, ihn von seinem Vorsatz mit dem Argument abzubringen, die Telegraphie sei die Wissenschaft der Zukunft und die Entwicklung schon so weit fortgeschritten, daß die Erfindung eines auch auf
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