Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Schiffen installierbaren Systems bevorstehe. Doch Florentino Ariza widerstand jedem Argument. Der Kapitän nahm ihn schließlich auf der Rückfahrt mit, nicht weil er ihm für die Kabine etwas schuldig gewesen wäre, sondern weil ihm seine verwandtschaftlichen Beziehungen zur Karibischen Flußschiffahrtskompanie bekannt waren.
Die Fahrt flußabwärts dauerte knapp sechs Tage, und Florentino Ariza fühlte sich zu Hause, sobald sie vor Morgengrauen in die Laguna de las Mercedes eingefahren waren und er den Lichterschwarm der Fischerkanus in der Bugwelle des Dampfers schwanken sah. Es war noch Nacht, als sie in der Bai von El Nino Perdido, neun Seemeilen von der großenBucht entfernt, festmachten und damit die Endstation der Flußdampfer erreicht hatten, da die alte spanische Fahrrinne noch nicht wieder für den Schiffsverkehr ausgebaggert worden war. Die Passagiere mußten bis sechs Uhr morgens auf die Flottille der Mietschaluppen warten, die sie zu ihrem Bestimmungsort bringen sollten. Florentino Ariza war jedoch so voller Unruhe, daß er schon sehr viel früher auf die Postschaluppe stieg, deren Besatzung ihn als einen der ihren erkannte. Bevor er das Schiff verließ, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, eine symbolische Handlung zu vollziehen. Er warf den Petate ins Wasser und verfolgte ihn mit den Augen zwischen den Fackeln der unsichtbaren Fischer, bis er aus der Lagune trieb und im Ozean verschwand. Er war sicher, daß er ihn bis ans Ende seiner Tage nicht mehr brauchen würde. Nie wieder, weil er nie wieder Fermina Dazas Stadt verlassen würde.
Die Bucht war bei Tagesanbruch ein Staubecken. Florentino Ariza sah über dem schwimmenden Dunst die von den ersten Lichtstrahlen vergoldete Kuppel der Kathedrale, sah die Taubenschläge auf den Dachgärten, und sich an diesen orientierend, machte er den Balkon vom Palais des Marques de Casalduero aus, wo er die Frau seines Unglücks vermutete, die sicherlich noch an der Schulter ihres befriedigten Gatten schlummerte. Diese Vorstellung zerriß ihn, doch er tat nichts, sie zu unterdrücken, sondern genau das Gegenteil, er kostete seinen Schmerz aus. Die Sonne wurde wärmer, während die Postschaluppe sich ihren Weg durch das Labyrinth der verankerten Segelschiffe bahnte, dort vermengten sich die unzähligen Gerüche des Marktes mit der Fäulnis aus der Tiefe zu einem einzigen pestilenzialischen Gestank. Der Schoner aus Riohacha war gerade eingetroffen, und die Lastenträger standen truppweise bis zum Bauch im Wasser, um die Passagiere an der Reling zu empfangen und sie bis zum Ufer zu tragen. Florentino Ariza sprang als erster von der Postschaluppe an Land und nahm von da an nicht mehr den fauligen Gestank der Bucht wahr, sondern nur noch Fermina Dazas persönlichen Duft im Stadtraum. Alles roch nach ihr. Er kehrte nicht ins Telegraphenamt zurück. Sein Interesse schien sich ausschließlich auf die Romanheftchen und die Bücher der Biblioteca Populár zu richten, die seine Mutter weiter für ihn kaufte und die er in einer Hängematte liegend wieder und wieder las, bis er sie auswendig kannte. Er fragte nicht einmal, wo die Geige geblieben war. Er nahm wieder Kontakt zu seinen nächsten Freunden auf, spielte manchmal Billard oder unterhielt sich mit ihnen in den Straßencafes unter den Arkaden der Plaza de la Catedral. Zu den Tanzfesten am Sonnabend ging er jedoch nicht, ohne Fermina Daza wollte er sie sich nicht vorstellen.
Noch am Morgen seiner Rückkehr von der unvollendeten Reise erfuhr er, daß Fermina Daza auf Hochzeitsreise in Europa war, und sein verwirrtes Herz hielt es für ausgemacht, daß sie dort leben würde, wenn nicht für immer, so doch für viele Jahre. Diese Gewißheit flößte ihm erste Hoffnungen auf ein mögliches Vergessen ein. Er dachte an Rosalba, deren Bild in seiner Erinnerung immer glühendere Farben annahm, während die anderen Erlebnisse allmählich verblaßten. Zu jener Zeit ließ er sich den Schnurrbart mit den gewichsten Spitzen stehen, den er sich für den Rest seines Lebens nicht mehr abnehmen sollte und der einen anderen Mann aus ihm machte. Und der Gedanke, daß Liebe ersetzbar sei, führte ihn auf unvorhergesehene Wege. Fermina Dazas Duft begegnete ihm nicht mehr so oft und so intensiv und zog sich schließlich in die weißen Gardenien zurück. Er ließ sich treiben und wußte nicht, wie sein Leben weitergehen sollte, als in einer Kriegsnacht während der Belagerung durch den Rebellengeneral Ricardo Gaitán Obeso die allseits
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