Die Liebe in den Zeiten der Cholera
erfundenen Figuren Bekannte aus dem wirklichen Leben einsetzte und sich und Fermina Daza die Rollen der aussichtslos Liebenden vorbehielt. Oder er verbrachte die Nacht damit, verzweifelte Briefe zu schreiben, deren Schnipsel er später dem Wasser übergab, das unablässig zu ihr hinströmte. Die bittersten Stunden vergingen, während er in die Haut eines schüchternen Prinzen oder eines Ritters der Liebe schlüpfte oder auch in seiner eigenen verbrannten Haut des vergessenen Liebhabers festsaß, bis dann die erste Morgenbrise aufkam und er in einem der Liegestühle an der Reling einnickte.
Eines Nachts, als er früher als sonst seine Lektüre unterbrach und zerstreut durch den ausgestorbenen Eßsaal Richtung Toilette ging, öffnete sich plötzlich auf seinem Weg durch den verlassenen Korridor eine Tür, und wie ein Falke griff ihn eine Hand am Hemdsärmel, zog ihn in die Kabine und schloß ihn dort ein. Es gelang ihm gerade noch, den alterslosen Körper einer Frau heiß und schweißnaß im Dunkeln zu spüren. Sie atmete stürmisch, stieß ihn auf die Koje, machte ihm die Gürtelschnalle und die Knöpfe auf, öffnete sich rittlings auf ihm und nahm ihm ruhmlos seine Unschuld. Beide fielen ersterbend in die Leere eines nach Krabbensud duftenden Abgrunds. Sie lag einen Augenblick ausgestreckt auf ihm, rang nach Luft und hörte im Dunkel auf zu sein. »Gehen Sie jetzt und vergessen Sie es«, sagte sie. »Dies hier ist nie geschehen.«
Der Überfall war so schnell und siegreich verlaufen, daß er nicht als eine verrückte Anwandlung aus Langeweile verstanden werden konnte, sondern als das Resultat eines schon länger ausgeklügelten Plans. Diese schmeichelhafte Gewißheit steigerte Florentino Arizas Unruhe, denn auf dem Gipfel seiner Lust war ihm eine Offenbarung zuteil geworden, an die er nicht glauben mochte, die er sich nicht einmal eingestehen mochte, und zwar, daß die illusorische Liebe zu Fermina Daza durch eine irdische Leidenschaft ersetzt werden konnte. So bemühte er sich, die Identität der meisterhaften Schänderin aufzudecken, deren raubkatzenhafter Instinkt vielleicht das Heilmittel für sein Unglück bereithielt. Doch es gelang ihm nicht. Im Gegenteil, je weiter er die Ermittlung vorantrieb, desto ferner fühlte er sich von der Wahrheit. Der Überfall hatte sich in der letzten Kabine ereignet, diese war mit der vorletzten durch eine Zwischentür verbunden, so daß sich beide in einen Vier Kojen-Familienraum verwandeln ließen, in dem zwei junge Frauen reisten, eine ältere, die aber auch sehr gut aussah, und ein kleiner Junge von wenigen Monaten. Sie waren in Barranco de Loba an Bord gegangen, dem Hafen, wo gewöhnlich die Fracht geladen wurde und wo sich die Passagiere aus der Stadt Mompox einschifften, seitdem diese durch die Launen des Flusses von der Route der Dampfschiffe abgeschnitten war. Florentino Ariza waren die Frauen nur deshalb aufgefallen, weil sie das schlafende Kind in einem großen Vogelbauer trugen.
Sie waren modisch gekleidet wie die Damen auf den Überseeschiffen, mit Tournüren unter den Seidenröcken, Spitzenhalskrausen und breitkrempigen, mit Filzblumen geschmückten Hüten. Die beiden jüngeren zogen sich mehrmals am Tag um, so daß sie, während die anderen Passagiere vor Hitze erstickten, ihren eigenen Frühling mit sich herumzutragen schienen. Die drei waren, wie alle Frauen aus Mompox, geschickt im Einsatz von Sonnenschirmen und Federfächern, wenn auch mit den schwer deutbaren Absichten jener Epoche. Florentino Ariza gelang es nicht einmal, die Beziehungen zwischen den dreien genau zu bestimmen, obwohl sie zweifellos zu einer Familie gehörten. Zunächst dachte er, die ältere Frau sei die Mutter der beiden anderen, doch dann wurde ihm klar, daß sie dafür nicht alt genug war, auch trug sie, im Unterschied zu den anderen, Halbtrauer. Er konnte sich nicht vorstellen, daß eine von ihnen gewagt hätte, das zu tun, was sie getan hatte, während die anderen in den Nachbarkojen schliefen. Die einzige vernünftige Annahme war, daß sie, eine zufällige oder auch vorher abgesprochene Gelegenheit nutzend, allein in der Kabine zurückgeblieben war. Er stellte fest, daß manchmal zwei der Frauen bis spät in die Nacht frische Luft an Deck schöpften, während die dritte in der Kabine blieb, um das Kind zu hüten. In einer besonders heißen Nacht kamen dann alle drei zusammen heraus, das Kind in dem Käfig aus Korbgeflecht, der mit einem Gazeschleier bedeckt war.
Trotz der
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