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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Verworrenheit der Indizien beeilte sich Florentino Ariza die Möglichkeit auszuschließen, daß die älteste der drei die Urheberin des Überfalls gewesen sei. Sogleich sprach er auch die Jüngste frei, obgleich sie die schönste und kühnste war. Er tat es ohne triftigen Grund, denn der aus der sehnsüchtigen Überwachung der drei Frauen erwachsene Wunsch war der Vater des Gedankens, daß die Mutter des in dem Käfig eingesperrten Kindes die Augenblicksgeliebte sei. Diese Vorstellung war so verführerisch, daß er an diese Frau intensiver als an Fermina Daza zu denken begann, ohne allerdings zu beachten, daß die junge Mutter offensichtlich nur für ihr Kind lebte. Sie war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und goldhäutig, hatte schwere portugiesische Augenlider, die sie entrückt erscheinen ließen, und jeder Mann hätte sich mit den Brosamen der Zärtlichkeit begnügt, die sie dem Sohn zukommen ließ. Vom Frühstück bis zur Schlafenszeit beschäftigte sie sich im Salon mit ihm, während die anderen beiden an einem Tisch Mah-Jong spielten, und wenn es ihr gelang, das Kind zum Schlafen zu bringen, hängte sie den Korbkäfig an einen Deckenbalken, dort, wo es dicht an der Reling am kühlsten war. Doch selbst wenn der Sohn schlief, hörte sie nicht auf, sich um ihn zu kümmern, sie wiegte den Käfig und summte Brautlieder, während sie in Gedanken die Mühsal der Reise hinter sich ließ. Florentino Ariza klammerte sich an die Hoffnung, daß sie sich früher oder später, und sei es nur durch eine Geste, verraten würde. Er wachte sogar darüber, ob sich ihr Atem veränderte, dessen Rhythmus das Medaillon auf ihrer Batistbluse verriet. Unverhohlen schaute er sie über das Buch an, das er zu lesen vorgab, und leistete sich die kalkulierte Unverfrorenheit, jeweils den Platz im Eßzimmer zu wechseln, um ihr gegenüber zu sitzen. Doch er bekam nicht den leisesten Hinweis, daß tatsächlich sie die andere Hälfte seines Geheimnisses bewahrte. Das einzige, was ihm von ihr blieb, war, da er die jüngere Gefährtin sie einmal hatte rufen hören, der Vorname: Rosalba.
    Am achten Tag passierte der Dampfer nur mit Mühe eine Stromschnelle zwischen Marmorklippen und machte dann, nach dem Mittagessen, in Puerto Mare fest. Dort sollten jene Passagiere vom Schiff gehen, die weiter ins Innere der Provinz Antioquia reisten, eine der vom neuen Bürgerkrieg am stärksten betroffenen Regionen. Der Hafen bestand aus einem Dutzend Palmhütten und einem Lagerschuppen mit Holzwänden und Zinkdach und wurde von mehreren Patrouillen barfüßiger und schlecht bewaffneter Soldaten bewacht, da es hieß, die Aufständischen planten, die Dampfer zu plündern. Hinter den Häusern erhob sich bis in den Himmel hinein ein karstiges Vorgebirge, auf dem sich hufeisenförmig ein Saumpfad am Rande des Abgrunds durch die Felsen zog. Niemand an Bord konnte ruhig schlafen, doch es gab in der Nacht keinen Angriff, und bei Tagesanbruch verwandelte sich der Hafen in einen Sonntagsjahrmarkt. Indios verkauften dort Steinnuß-Amulette und Liebestränke zwischen den Lasttieren, die für den sechstägigen Aufstieg bis zu den Orchideenwäldern der Zentralkordillere bereitstanden. Florentino Ariza vertrieb sich die Zeit damit, beim Löschen der Ladung zuzusehen. Er sah, wie die Schwarzen die Lasten schulterten, wie Körbe mit chinesischem Porzellan und Konzertflügel für die alten Jungfern von Envigado heruntergehievt wurden, und bemerkte zu spät, daß unter den an Land bleibenden Passagieren auch die Gruppe um Rosalba war. Er sah die Frauen, die schon im Damensitz aufgesessen waren, mit Amazonenstiefeln und Sonnenschirmen in tropischen Farben und tat dann den Schritt, den er in den vorangegangenen Tagen nicht gewagt hatte: Er winkte Rosalba zum Abschied. Die drei erwiderten den Gruß auf die gleiche Weise und mit einer Vertraulichkeit, die ihm wegen seiner verspäteten Kühnheit das Innerste zerriß. Er sah sie hinter dem Holzschuppen entlangreiten, gefolgt von den mit Koffern, Hutschachteln und dem Käfig des Kindes bepackten Maultieren. Wenig später sah er sie wie eine Reihe kleiner Ameisen am Rande des Abgrunds hochklettern, und so verschwanden sie aus seinem Leben. Er fühlte sich allein auf der Welt, und die Erinnerung an Fermina Daza setzte nun, nachdem sie ihm die letzten Tage über aufgelauert hatte, zum tödlichen Sprung an.
    Er wußte, daß Fermina Daza am kommenden Sonnabend mit Glanz und Gloria Hochzeit halten würde und daß dann der

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