Die Liebe in den Zeiten der Cholera
bekannte Witwe Nazaret verängstigt in sein Haus flüchtete, weil ein Geschütztreffer das ihre zerstört hatte. Und Tránsite Ariza packte diese Gelegenheit beim Schöpf, sie führte die Witwe in das Schlafzimmer des Sohnes, angeblich weil in dem ihren kein Platz mehr war, tatsächlich aber in der Hoffnung, eine andere Liebe könne ihn von jener heilen, die ihn nicht leben ließ. Florentino Ariza hatte, seit Rosalba ihn in der Schiffskabine entjungfert hatte, bei keiner Frau mehr gelegen. In dieser Nacht der Not erschien es ihm nur natürlich, daß die Witwe in seinem Bett und er selbst in der Hängematte schlief. Doch sie hatte schon für ihn mitentschieden. Sie setzte sich auf die Kante des Betts, in dem Florentino Ariza lag und nicht wußte, wie er sich verhalten sollte, und begann ihm von ihrem untröstlichen Schmerz um den vor drei Jahren verstorbenen Ehegatten zu erzählen, während sie die Trauerkleidung auszog und von sich warf, bis sie nicht einmal mehr den Ehering anhatte. Sie zog die Taftbluse mit der Glasperlenstickerei aus und schleuderte sie quer durch den Raum auf den Sessel in der Zimmerecke, die Korsage warf sie über die Schulter hinter sich auf das andere Bettende, mit einem Ruck entledigte sie sich des langen Rocks mitsamt des gerüschten Unterrocks sowie des Strumpfgürtels aus Atlasseide und der schwarzseidenen Trauerstrümpfe und verteilte alles auf dem Boden, bis das Zimmer mit den letzten Fetzen ihrer Trauer ausgelegt war. Sie machte es mit so viel Freude und so wohl bemessenen Pausen, daß jede ihrer Bewegungen vom Geschützfeuer der angreifenden Truppen, das die Stadt in ihren Grundfesten erschütterte, gefeiert zu werden schien. Florentino Ariza wollte ihr helfen, den Haken des Leibchens zu lösen, doch sie kam ihm mit einem geschickten Griff zuvor, da sie in fünf Jahren ehelicher Ergebenheit gelernt hatte, bei allen Erledigungen der Liebe, sogar beim Vorspiel, ohne Hilfe zurechtzukommen. Zuletzt schlüpfte sie aus dem Spitzenhöschen, ließ es mit der raschen Bewegung einer Schwimmerin die Beine hinabgleiten und stand nackt da.
Sie war achtundzwanzig Jahre alt und hatte drei Kinder geboren, doch ihre Nacktheit hatte sich das Schwindelerregende einer Unverheirateten bewahrt. Für Florentino Ariza blieb es unbegreiflich, wie ein Büßergewand den Drang jener jungen Bergstute hatte verdecken können, die schier am eigenen Fieber verging, während sie ihn auszog, so wie sie ihren Mann nie hatte ausziehen können, weil er sie sonst für ein Flittchen gehalten hätte. In einem einzigen Anlauf versuchte sie, immer noch befangen und unerfahren nach fünf Jahren Eheleben, die eiserne Abstinenz der Trauer wettzumachen. Vor dieser Nacht und seit jener gnadenreichen Stunde, in der ihre Mutter sie geboren hatte, hatte sie niemals mit einem anderen Mann als ihrem verstorbenen Ehegatten auch nur auf demselben Bett gelegen. Sie erlaubte sich nicht die Stillosigkeit von Gewissensbissen. Ganz im Gegenteil. Da die Leuchtkugeln, die über die Ziegeldächer schwirrten, sie nicht schlafen ließen, beschwor sie bis zum Morgengrauen die Vorzüge des Ehemanns, dem sie keine andere Untreue vorzuwerfen hatte als die, ohne sie gestorben zu sein. Darüber tröstete sie sich aber mit der Gewißheit, daß er nie so ganz ihr gehört hatte wie jetzt, da er in einem mit zwölf Dreizollnägeln zugenagelten Sarg zwei Meter unter der Erde lag.
»Ich bin glücklich«, sagte sie, »denn erst jetzt weiß ich mit Sicherheit, wo er ist, wenn er nicht zu Hause ist.« In jener Nacht legte sie die Trauer ab, auf einen Schlag und ohne die müßige Übergangszeit der graugeblümten Blusen durchzumachen. Ihr Leben füllte sich mit Liebesliedern und herausfordernden Kleidern, auf denen sich gemalte Papageien und Schmetterlinge tummelten, und sie teilte nun ihren Körper mit jedem, der sie darum bat. Als die Truppen des General Gaitán Obeso nach 63 Tagen Belagerung geschlagen waren, baute sie das von dem Geschütztreffer zusammengestürzte Haus wieder auf, ließ eine herrliche Terrasse über den Klippen errichten, wo sich bei Sturmwetter die Wut der Wellen austobte. Das war ihr Liebesnest, wie sie es ohne Ironie nannte, und dort empfing sie nur Männer, die nach ihrem Geschmack waren, wann immer und wie immer sie wollte, und ohne auch nur einen Quartillo dafür zu nehmen, denn sie war der Meinung, daß ja die Männer ihr einen Gefallen taten. In den seltensten Fällen nahm sie ein Geschenk an, es durfte allerdings nicht aus Gold
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