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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Greis aus einer anderen Zeit kleidete, nicht zugetraut hätte. Er hatte jedoch zwei Vorteile auf seiner Seite. Der eine war sein sicherer Blick, mit dem er sogleich und selbst inmitten einer Menschenmenge die Frau erkannte, die auf ihn gewartet hatte, doch selbst dann umwarb er sie vorsichtig, denn nichts schien ihm so beschämend und demütigend wie ein Korb. Der andere Vorteil war, daß die Frauen in ihm sofort den einsamen, liebesbedürftigen Mann erkannten, einen Zukurzgekommenen von der Straße, dessen Ergebenheit eines geprügelten Hundes sie schwach werden ließ, so daß sie sich ihm bedingungslos hingaben, ohne etwas zu erbitten, ohne etwas zu erwarten, außer dem beruhigten Gewissen, ihm etwas Gutes getan zu haben. Dies waren seine einzigen Waffen, und mit ihnen schlug er historische, aber absolut geheime Schlachten, die er mit der Gewissenhaftigkeit eines Notars verschlüsselt in ein Heft eintrug, das unter allen anderen an seinem Titel, der alles sagte, zu erkennen war: Sie. Die erste Eintragung machte er über die Witwe Nazaret. Fünfzig Jahre später, als Fermina Daza von der Fessel des Ehesakraments befreit war, hatte er etwa fünfundzwanzig Hefte mit sechshundertzweiundzwanzig Eintragungen über dauerhaftere Liebschaften gefüllt, die unzähligen flüchtigen Abenteuer ausgenommen, die ihm nicht einmal eine barmherzige Notiz wert waren. Florentino Ariza war nach sechs Monaten eines ausschweifenden Liebeslebens mit der Witwe Nazaret selbst davon überzeugt, daß er seine Qualen wegen Fermina Daza überstanden hatte. Er glaubte es nicht nur, sondern sprach es auch während ihrer nahezu zwei Jahre dauernden Hochzeitsreise mehrmals Tránsite Ariza gegenüber aus, und glaubte es mit einem Gefühl grenzenloser Befreiung immer noch, als er ohne jede Vorahnung im Herzen, plötzlich, an einem Sonntag seines schlechten Sterns, sie am Arm ihres Mannes aus dem Hochamt kommen sah, umgeben von der Neugier und den Schmeicheleien ihrer neuen Welt. Die selben Damen von Rang und Namen, die sie zunächst als neureiche Kleinbürgerin verachtet und über sie gespottet hatten, liefen sich jetzt die Hacken ab, damit sie sich als eine der ihren fühlen könnte, und berauschten sich an ihrem Liebreiz. Sie hatte ihre Rolle einer verheirateten Dame von Welt mit einer solchen Selbstverständlichkeit übernommen, daß Florentino Ariza einen Augenblick überlegen mußte, bevor er sie erkannte. Sie war eine andere geworden: Die beherrschte Haltung einer Erwachsenen, die hochhackigen Stiefelchen, der Hut mit dem kleinen Schleier und der bunten Feder orientalischen Vogels, alles an ihr war anders und geläufig, als habe es von Anbeginn an zu ihr gehört. Sie erschien ihm schöner und jugendlicher als je zuvor, aber auch unerreichbarer denn je, er begriff aber nicht warum, bis er die Wölbung ihres Bauches unter der Seidentunika sah - sie war im sechsten Monat schwanger. Am meisten beeindruckte ihn jedoch, daß sie und ihr Mann ein bewunderungswürdiges Paar abgaben und beide sich auf eine so leichtfüßige Art in der Welt bewegten, daß sie über den Klippen der Wirklichkeit zu schweben schienen. Florentino Ariza verspürte weder Eifersucht noch Zorn, sondern eine tiefe Selbstverachtung. Er fühlte sich arm, häßlich, minderwertig und nicht nur ihrer, sondern jeder Frau auf Erden unwürdig. Sie war also wieder da. Sie hatte auch nach der Rückkehr keinerlei Grund, den Richtungswechsel in ihrem Leben zu bereuen. Im Gegenteil. Es gab immer weniger denkbare Gründe, erst recht nicht, nachdem sie die Mühen der ersten Jahre überlebt hatte. Was in ihrem Fall um so bemerkenswerter war, da sie die Hochzeitsnacht noch in den Nebeln der Unschuld erreicht hatte. Ein wenig hatten sich diese schon im Laufe ihrer Reise durch die Provinz der Kusine Hildebranda gelichtet. In Valledupar hatte sie endlich begriffen, warum die Hähne die Hennen verfolgen, wurde Zeugin der brutalen Begattungszeremonie der Esel, sah, wie Kälber geboren wurden, und hörte die Kusinen ganz unbefangen davon sprechen, welche Paare in der Familie noch miteinander schliefen und welche wann und warum damit aufgehört hatten, obgleich sie weiterhin zusammenlebten. Damals war sie in die einsamen Liebesspiele eingeweiht worden und hatte das seltsame Gefühl gehabt, etwas zu entdecken, das ihre Instinkte von jeher gekannt hatten. Zunächst gab sie sich diesen Vergnügungen im Bett hin, mit angehaltenem Atem, um sich in dem Schlafzimmer, das sie mit einem halben Dutzend Kusinen

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