Die Liebe in den Zeiten der Cholera
teilte, nicht zu verraten. Später trieb sie es beidhändig mit gelöstem Haar auf dem Badezimmerboden ausgestreckt und rauchte dabei ihre ersten Viehtreiberstumpen. Stets hatte sie Gewissensbisse, die sie erst nach der Heirat überwand, und immer tat sie es in allergrößter Heimlichkeit, während ihre Kusinen sich damit brüsteten, wie oft sie es pro Tag schafften, und sich sogar über Art und Ausmaß ihrer Orgasmen ausließen. Trotz des Zaubers jener Initiationsriten hing sie weiterhin dem Glauben an, das der Verlust der Unschuld ein blutiger Opfergang sei.
So verging für sie die Hochzeitsfeier, eine der aufsehenerregendsten gegen Ende des letzten Jahrhunderts, in Erwartung des Entsetzlichen. Die Angst vor der Hochzeitsreise machte ihr viel mehr zu schaffen als der gesellschaftliche Skandal wegen ihrer Eheschließung mit einem Galan, wie es zu jener Zeit keinen zweiten gab. Seitdem das Aufgebot in der Kathedrale bei jedem Hochamt bekanntgegeben wurde, erhielt Fermina Daza wieder anonyme Briefe, manche sogar mit Morddrohungen, doch sie achtete kaum darauf, denn alle Angst, zu der sie fähig war, richtete sich auf die bevorstehende Vergewaltigung. Das war, wenn auch unbeabsichtigt, die richtige Art, mit anonymen Briefen in einer Gesellschaft umzugehen, die sich durch den Hohn der Geschichte daran gewöhnt hatte, angesichts vollendeter Tatsachen klein beizugeben. So wuchs Fermina Daza, je unumstößlicher die Hochzeit feststand, all das zu, was gegen sie sprach. Sie bemerkte es an dem mählichen Wandel in den Reaktionen der bleichen, von Arthritis und Ressentiments gebeugten Frauen, die eines Tages die Vergeblichkeit ihrer Intrigen einsahen und unangemeldet am Parque de los Evangelios wie in ihrem eigenen Haus auftauchten, mit Kochrezepten und gutgemeinten Geschenken. Tránsite Ariza kannte jene Welt, obwohl sie erst diesmal etwas davon am eigenen Leib erfuhr. Sie wußte, daß ihre Kundinnen am Vorabend großer Feste wieder bei ihr auftauchten und sie um den Gefallen baten, doch die Tonkrüge auszugraben und ihnen den verpfändeten Schmuck für einen erhöhten Zinssatz 24 Stunden lang auszuleihen. Seit langer Zeit hatte es sich nicht mehr so wie diesmal abgespielt, die Tonkrüge leerten sich, damit die Damen mit den langen Namen ihre Sanktuarien des Schattens verlassen und im eigenen ausgeliehenen Schmuck bei einer Hochzeit glänzen konnten, die von keiner anderen gegen Ende des Jahrhunderts an Prunk übertroffen wurde und der Doktor Rafael Nunez als Trauzeuge zum letzten Ruhm verhalf, war dieser doch dreimaliger Präsident der Republik, Philosoph, Dichter und Verfasser der Nationalhymne, wie man damals schon in einigen neueren Lexika nachlesen konnte. Fermina Daza trat vor den Altar, geleitet von ihrem Vater, dem der Frack an diesem einen Tag einen trügerischen Hauch von Respektabilität verlieh. Sie heiratete für alle Ewigkeit vor dem Hochaltar der Kathedrale in einer Messe, die von drei Bischöfen gemeinsam um elf Uhr vormittags am Freitag der Heiligen Dreifaltigkeit zelebriert wurde, und verschwendete nicht einen barmherzigen Gedanken an Florentino Ariza, der zu jener Stunde im Fieber phantasierte und ihretwegen verging, ausgesetzt auf einem Schiff, das ihn nicht ins Land des Vergessens tragen sollte. Während der Zeremonie und später auf dem Fest stand ihr ein Lächeln wie mit weißer Schminke fixiert im Gesicht, eine seelenlose Grimasse, die von einigen als höhnisches Triumphlächeln gedeutet wurde, tatsächlich aber das unzureichende Mittel war, die Angst der frischgetrauten Jungfrau zu überspielen. Glücklicherweise lösten unvorhergesehene Umstände und das Verständnis des Ehemannes in den ersten drei Nächten schmerzlos ihre Probleme. Die göttliche Vorsehung schien hier zu walten. Das Schiff der Compagnie Generale Transatlantique, dessen Fahrplan durch das schlechte Wetter im arabischen Meer durcheinandergeraten war, gab nur drei Tage im voraus bekannt, daß die Abfahrt um 24 Stunden vorverlegt würde, so daß man nicht, wie geplant, am Tag nach der Hochzeit mit Kurs auf La Rochelle in See stechen würde, sondern bereits in der Hochzeitsnacht. Niemand glaubte, daß es sich dabei nicht um eine weitere elegante Überraschung der Hochzeitsfeier handelte, denn das Fest endete nach Mitternacht an Bord des erleuchteten Überseedampfers mit einer Kapelle aus Wien, die auf jener Fahrt erstmals die neuesten Walzer von Johann Strauß zum besten gab. So mußten mehrere champagnerselige Trauzeugen von ihren
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