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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Papier. Ein Paar kommt zu spät. Sie alle sind wegen der Worte ihres Bruders gekommen. Der Worte, die er nachts im Lieferwagen geschrieben hat. Rittlings auf dem Mond, wie er sagte. Marie brachte ihm Kaffee, klopfte ans Fenster. Er öffnete die Tür, und sie schlüpfte hinein, neben ihn. Weicher Stoff, der Geruch nach Hund, die Sitzkuhle. Auf dem Boden lagen Stifte und Papier, sie aßen Sandwiches. Er erzählte ihr, was er schrieb.
    Wenn sie Shorts trug, stachen die Krümel in ihre Schenkel.

D ie Lichter gehen aus. Man hört noch leises Rascheln von Kleidern, das Aufrichten von Körpern, Getuschel. Jemand hustet.
    Odon schlägt auf den Boden, elf sehr schnelle Schläge.
    Ein Schlag für jeden Jünger.
    Außer Judas.
    Er macht eine Pause und lässt dann die anderen Schläge ertönen, langsamer, den ersten für die Königin, den zweiten für den König und den dritten für Gott.
    Der Vorhang geht auf.
    Marie rührt sich nicht mehr. Ihr Herz schlägt schnell. Diese Vorstellung ist ihr Rendezvous. Sie sitzt kerzengerade da, will alles sehen, alles hören. Ihre Hände zittern nicht mehr.
    Julie steht da wie eine Statue, ihre Stimme erhebt sich, unmerklich zitternd. Im Hintergrund moderne Häuser. Julie spricht von der Schönheit der Welt und all dessen, was geheimnisvoll ist, des Mondes, der Sterne, des Himmels über uns, von dem sie sagt, er sei so weit. Sie spricht von Einsamkeit. Sie wirkt dünn und alterslos unter dieser Haut aus Lehm. Noch menschlich, und doch bereits mineralisch.
    Die jungen Männer treten auf. Sie sind da, eine Gemeinschaft für einen Abend, alle im gleichen Gewand aus Ton.
    Sie sprechen von der so kurzen Lebenszeit.
    Odon verfolgt die Vorstellung in den Kulissen. Er lauert auf jede Unsicherheit, das Quietschen eines Sitzes, ein gelangweiltes Gähnen. Es gibt ein paar Patzer, in Chatt’s Stimme liegt an einer Stelle ein leichtes Zögern: »Ich möchte alles vergessen, was ich weiß …«, beginnt er ein wenig stockend, fängt sich aber sofort wieder.
    Es ist heiß im Saal. Ein paar Zuschauer fächeln sich mit dem Programm Luft zu. Ein paar eindringliche »Psst« werden gezischt, doch die Verbindung stellt sich her, intensiv, aufmerksam. Die Blicke bleiben auf die Bühne gerichtet.
    Julie stottert. Schließlich bückt sie sich und nimmt die Digitalis, die auf dem Boden verstreut worden sind. Ihre Bewegungen sind langsam. Man hört Musik und ihre Stimme: »Ich bin allein, und das Leben drückt mich nieder.«
    Sie setzt sich auf den Pappfelsen, die Digitalis auf den Knien. »Was soll ich mit den Tagen anfangen, die mir noch bleiben?«
    Sie isst ein Blütenblatt, dann ein zweites. Sie spricht zum Staub.
    Der Ton macht sie alterslos. Sie redet dem Tod gut zu. Eine teils wirre Rede.
    Sie führt ein letztes Blütenblatt zum Mund. Es bleibt kleben. Ihr Körper rollt über den Sockel des Felsens. Die Blumen liegen verstreut auf dem Boden.
    Im Saal Stille.
    Greg hebt den Leichnam hoch und trägt ihn fort. Man hört seine Schritte auf dem Boden und dann auf der Treppe, hinter dem Vorhang.
    Marie zittert, so schön ist es.
    Damien steht am Bühnenrand. Das Licht des Scheinwerfers isoliert ihn. Er erzwingt ein paar Augenblicke Stille, die auf die noch bedrückendere Stille im Saal trifft.
    »Manchmal gibt es echte Gründe dafür, zu tun, was man tut, und Dinge, die wir nur stumm durch unseren Tod übermitteln können. Aber jetzt ist alles vorbei. Die nicht gehaltenen Versprechen werden mich für immer verfolgen.«
    Seine Stimme verändert sich, bricht. Er wendet sich ab. Eine langsame Handbewegung.
    »Nun, da das Gewitter losbricht, kann der Regen kommen und den Nomaden, der ich bin, ertränken.«
    Jeff drückt hinter der Bühne auf einen Knopf und schaltet die Aufnahme ein. Donner hallt, und Regen prasselt heftig auf die Bühne, den Saal, ringsumher, überall. Man könnte meinen, das Gewitter tobt im Theater.
    Damien steht mit herabhängenden Armen da, in einem imaginären Regen. Minutenlang. Die Wirkung ist atemberau-bend. Danach applaudieren alle, und Julie kommt zurück. Sie hat sich den Ton abgewaschen. Sie ist strahlend schön.
    Marie ist zu keiner Bewegung fähig. Unfähig zu lächeln. Sie starrt sie an, alle, völlig überwältigt. Als sie sich endlich rühren kann, zerdrückt sie mit dem Arm eine Träne.
    Der Vorhang schließt sich.
    Sie senkt den Kopf, starrt auf ihre Füße, die staubigen Spitzen, den roten Teppichboden.
    Sie steht auf.
    Sie geht hinaus, will den Blicken der anderen nicht

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