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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Marzipanschnitten knabbert.
    »Ich habe dich im Fernsehen gesehen, als du den Prix Molière erhalten hast, du warst wunderbar. Am nächsten Tag hat das ganze Viertel davon gesprochen. Alle haben erzählt, dass Pierre Arditi dich geküsst habe …«
    Die Jogar seufzt. Was für ein langweiliger Abend …
    » Parva leves capiunt animas . 5 Was haben sie noch erzählt?«
    »Dass du wunderschön gewesen seist und dass dein Erfolg verdient sei.«
    Er wird wieder ernst.
    »Es ist gut, dass du wieder hier spielst. Es ist wichtig für die Leute des Viertels, sie haben auf dich gewartet.«
    Sie hatte gedacht, dass Freunde zu ihr kämen, Gesichter, die sie wiedererkennen würde.
    Sie leckt die Oberfläche der Marzipanschnitte.
    »Ich habe das Gefühl, in einer fremden Stadt zu sein.«
    Auf dem Tisch liegt eine Bibel. Sie legt die Hand auf das warme Leder, die gelb-orangen Farbtöne.
    Sie sprechen über das Leben im Viertel. Die Zeit, die vergeht.
    In einer Viertelstunde beginnt die Messe. Der Pfarrer muss sich fertig machen. Während sie reden, schüttet er die Hostien in das Ziborium und gießt den Wein in den Kelch. Er legt das schwere Messgewand an.
    Die Jogar verfolgt jede seiner Bewegungen.
    Er kreuzt die Stola über der Brust, legt das Holzkreuz um den Hals.
    Sie gehen gemeinsam auf den Vorplatz hinaus.
    Beide blicken sie zum Chien-Fou hinüber.
    Vor den Türen eine Menschenansammlung, Plakate, manche hängen an den Gitterstäben. Der Bühneneingang. Darüber die Fenster, Kulissen aus Pappe vor den Scheiben, darüber, im obersten Stockwerk, ein ganz besonderer Raum, unter dem Dach. Die Decke ist mit Glühbirnen übersät, mehr als fünfhundert, dicht an dicht nebeneinander. Odon schaltete sie manchmal ein, nur ein paar Minuten, und die Decke leuchtete wie in einem Märchen aus Tausendundeine Nacht . Manchmal brannten die Sicherungen durch, und sie lachten darüber.
    »Wie geht es ihm?«, fragt sie.
    »Immer noch genauso ungläubig.«
    Sie lächelt.
    »Dann geht es ihm gut.«
    3 Es wird nicht immer Sommer sein.
    4 Die Zeiten ändern sich, und wir uns mit ihnen.
    5 Kleine Dinge faszinieren die leichten Gemüter.

A m Abend wird der Streik heftiger. In der Nacht werden Plakate abgerissen. Die Streikenden sprühen »Im Streik« auf die Türen aller Theater.
    Auf die grauen Fensterläden des Chien-Fou schreiben sie »Verräter! Bourgeois-Theater!« Die Farbe dringt ins Holz ein.
    Odon bemerkt es, als er morgens kommt. Wortlos entfernt er das Geschmier mit Schwamm und Seife.
    Julies Gesichtsausdruck ist finster.
    »Da siehst du, was deine Freunde machen«, sagt Odon.
    »Das sind nicht meine Freunde.«
    »Immerhin ziehst du mit ihnen herum.«
    Im Krieg haben die Schauspieler den Deutschen zum Trotz gespielt! Und auch 1968 haben die Theater nicht ihre Pforten geschlossen.
    Er sagt es mit tonloser Stimme.
    Julie ist untröstlich.
    »Wir sind nicht im Krieg, Papa.«
    Er drückt den Schwamm auf die Tür.
    »Es gibt nur zwei Dinge, die unendlich sind, das Universum und die menschliche Dummheit … aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher … Einstein hat das behauptet. Vielleicht sollte man noch mal darüber nachdenken.«
    Julie senkt den Blick.
    Eine überdachte Passage verbindet die Place des Châtaignes mit der Place Saint-Pierre. Der Boden ist gepflastert, der Durchgang dunkel. Von dort kommt Marie.
    Sie sieht Julie und ihren Vater vor der Tür. Sie bleibt stehen, im Schatten.
    Seine Hand hält noch immer den Schwamm, die Buchstaben verlaufen dahinter auf dem Holz.
    Sie macht ein Foto von der Hand. Erst dann geht sie zu ihnen.

O don liest den Artikel laut vor. »Eine rote Nacht im Chien-Fou« lautet die Überschrift, die die Journalistin gewählt hat. Eingerahmt, an auffälliger Stelle, mit Foto.
    Jeff hört zu.
    »Gute Schauspieler für einen gewagten Text. Odon Schnadel knüpft endlich wieder an den anspruchsvollen Archaismus an, der ihn in seinen Anfängen bekannt gemacht hat.« Ist das wirklich positiv? »Kleidung und Körper aus Ton, ein originelles Bühnenbild, in dem die Poesie die Schwärze des Themas ausgleicht.« Es folgt eine Inhaltsangabe des Stücks. Ein paar Zeilen über Selliès. »Was den Autor betrifft, so gehört er zu der Sorte der verfemten Dichter, die der Tod mit fünfundzwanzig dahinrafft. Zu unserem Glück hat Odon Schnadel es verstanden, sich über die Konventionen hinwegzusetzen und mit diesem Stück das Andenken und das Talent eines echten Autors zu rehabilitieren.«
    Odon schweigt einen

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