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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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machen, ich schenke Ihnen dieses Gedicht, und dann werden Sie gehen.«
    Sie blickt sie an.
    »Sie werden gehen, nicht wahr?«
    Ein paar Lacher ertönen im Saal.
    Sie streckt die Hand in Richtung Scheinwerfer aus. Da die Bühnentechniker nicht da sind, kümmert Pablo sich um das Licht. Er hat keine Erfahrung. Der Lichtkegel zittert, ist nicht präzise.
    »Das sind die Worte von Josean Artze.« Sie sagt es in schonungslosem Tonfall.
    Ihre tiefe Stimme, der Name Josean Artze. Ein Schauer geht durch den Saal.
    Sie deklamiert.
    Hätte ich ihm die Flügel gebrochen,
    Hätte er mir gehört,
    Wäre er nicht fortgeflogen,
    Aber er wäre kein Vogel mehr gewesen,
    Und ich
    Das ist der Vogel, den ich liebte.
    Sie denkt, dass sie sich erheben, gehen werden, lässt ein paar Minuten verstreichen. Sie kehrt zum Tisch zurück. Sie sagt, dass die Stadt im Augenblick schön sei, dass es Terrassen gebe, auf die man sich setzen könne, um eiskalte Getränke zu bestellen.
    Sie wartet. Niemand geht.
    Es ist wie ein Spiel.
    Es amüsiert sie.
    »Was können wir jetzt tun?«
    Sie gibt Pablo ein Zeichen. Er bringt ihr ein Buch, einen hohen Hocker.
    Sie flüstert ein paar Worte. Er verschwindet und kommt mit einem Päckchen Zigaretten und seinem Feuerzeug wieder.
    In der folgenden Stille hört man das Feuerzeug klicken.
    Sie setzt sich auf den Hocker und schlägt die Beine übereinander.
    Dann nimmt sie einen Zug und beginnt zu lesen.
    »Gegen fünf wurde es kühler; ich schloss meine Fenster und begann wieder zu schreiben. Um sechs trat mein guter Freund Hubert ein; er kam von der Reitbahn zurück.«
    Gemurmel im Saal. Das ist Paludes . 7
    Die Jogar lächelt.
    »Ja, das ist Paludes .«
    Sie liest weiter, reglos, kerzengerade auf dem Hocker, die Arme nackt in dem kleinen türkisfarbenen Kleid. Das Blasen des Rauchs mischt sich in die Worte, das Klicken des Feuerzeugs, wenn sie die nächste Zigarette anzündet.
    Die Seiten, die sie umblättert.
    Es dauert eine Stunde.
    Sie liest Paludes , und die Kippen fallen auf den Boden, zwischen die Beine des Hockers und den Schatten ihres Körpers.
    Wieder in der Garderobe, bürstet sie ihr Haar. Sie gießt blaue Lotion auf einen Wattebausch und schminkt ihr Gesicht ab.
    »Ich hoffe, dass wir morgen spielen können. Ich will ihnen schließlich nicht jeden Abend Paludes vorlesen.«
    Pablo öffnet den Fensterladen einen Spalt. Das Publikum steht noch auf dem Bürgersteig. Die Leute unterhalten sich über diesen etwas ungewöhnlichen Abend.
    Pablo hilft ihr, das Kleid aufzuhaken. Sie zieht eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt an.
    Hochhackige Pumps, eine goldene Schnalle auf der Seite.
    »Was machen Sie heute Abend?«, fragt sie.
    »Ich gehe ins Cid.«
    »Ich will nicht allein sein. Nehmen Sie mich mit.«
    »Das ist keine Bar für Sie.«
    Sie lacht laut.
    »Weil es eine Schwulenbar ist?«
    Sie ordnet die Schminksachen, die durcheinander auf dem Tisch liegen, schließt die Puderdose, räumt die Stifte zusammen, schiebt alles in eine kleine Stofftasche.
    »Ich bin Ihr Friseur, Ihr Psychologe, Ihr Krankengymnast, das reicht, meine Dunkelhaarige.«
    Er blickt auf seine Uhr.
    »Und mein Dienst ist zu Ende.«
    Die Jogar nimmt ihre Tasche, stellt sie auf die Knie, öffnet sie und nimmt ihr Handy heraus.
    Sie blickt Pablo an.
    »Haben Sie eine Verabredung? Kenne ich ihn?«
    Er lächelt.
    Sie hebt den Kopf, sieht ihn prüfend an.
    »Ist es der Pianist der Vierzehn-Uhr-Vorstellung, der schöne Dunkelhaarige mit den schwarzen Augen? … Pablo, sagen Sie mir, dass es nicht er ist!«
    »Wie finden Sie ihn?«
    »Schön wie ein Gott, tut mir leid, wenn …«
    »Bedauern Sie mich ruhig …«
    Er geht zum Fenster und öffnet den Fensterladen.
    »Sie ziehen ab, wir können gehen.«
    7 Die Sümpfe . Satirische Erzählung von André Gide (1895).

D ie Jogar taucht ins Gewirr der engen Gässchen ein. Schulweg. Bürgersteige der Kindheit, Mauern, die von Wutausbrüchen erzählen. Ihre kleine Hand in der behandschuhten Hand ihrer Mutter. Winter, der Mistral blies, sie trug ihren karierten Mantel, untadelig.
    Rue de la Croix. Seit fünf Jahren hat sie Isabelle nicht mehr gesehen. Ein paarmal hat sie mit ihr telefoniert. Sie hat oft an sie gedacht.
    Sie hebt den Kopf. Die Fettpflanzen haben der Hitze auf den Balkons widerstanden. Das Küchenfenster steht offen. Sie legt die Hand auf das Holz der Tür. Wie oft hatte sie sie geöffnet, in ihrem blauen Gewand mit der Geige. Sie war die Stufen hinaufgestiegen, hatte ihre Zöpfe gelöst

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