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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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nicht alles verstanden.«
    Sie lächelt sanft.
    »Wenn Paul seinen Text einen Tag früher abgeschickt hätte, hätten Sie einen Tag schneller angerufen, und das hätte vielleicht alles geändert.«
    »Wenn der Tod kommt, dann kommt er.«
    Er schaut durch die höchste Scheibe des Fensters, beobachtet. Die Sonne hinter den Dächern. Die Schornsteine, die sich vor dem Himmel abzeichnen, die Fernsehantennen, die trockenen Dachziegel.
    Er denkt an Mathilde.
    Eines Abends kam sie zu ihm auf den Kahn und nahm ihm das Manuskript aus den Händen. Du arbeitest zu viel, flüsterte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals.
    Sie trug einen dicken Wollpullover, hatte gerade Doña Rosita bleibt ledig 6 in dem kleinen Théatre des Amuse-Gueules gespielt. Nebelschwaden lagen über dem Fluss, hingen in den Zweigen um den Kahn.
    Sie schmiegte sich an ihn. Wovon handelt Anamorphose ?
    Er erklärte ihr die merkwürdige Geschichte, von der er nicht loskam. Sie flüsterte ganz nah an seinem Mund. »Es ist reine Verzweiflung, Liebling …«
    »Letzten Endes werden sie es jetzt begreifen«, sagt Marie.
    »Was begreifen?«
    Sie legt ihre Hände flach auf das Leder des Punchingballs. Schließt sie. Zwei Fäuste.
    »Dass mein Bruder ein großer Autor war! Nuit rouge wird vor ausverkauften Sälen gespielt werden.«
    Sie schlägt zu. Der Punchingball bewegt sich nicht.
    Odon nähert sich.
    »Du schlägst und denkst dabei an etwas anderes. Wenn du willst, dass er sich bewegt, musst du es mit deinem Kopf wollen. Ich will, ich schlage, und er bewegt sich.«
    Er schlägt zu, ein heftiger Schlag. Der Punchingball tanzt.
    »Aber es ist verrückt, das ohne Handschuhe zu machen.«
    Der Punchingball kommt zurück, Marie hält ihn an. Drückt die Stirn dagegen.
    »Mein Bruder starb in der Zeit, in der Sie nachgedacht haben.«
    »Glaubst du, ich weiß das nicht?«
    Odon spricht laut, schreit fast.
    Marie wird blass.
    Er geht zum Schreibtisch zurück. Lässt sich auf seinen Stuhl fallen.
    »Ich bin für Kranunfälle nicht verantwortlich.«
    Marie fährt mit der Hand über ihren Hals, eine schnelle Bewegung, die Nägel kratzen. Eine rote Spur bleibt auf der weißen Haut zurück.
    Auf dem Schreibtisch steht eine Glaskugel. Im Innern ein Eiffelturm. Marie hebt die Kugel hoch, schüttelt sie, Schnee wirbelt umher. Sie wartet, bis der Schnee gefallen ist, und beginnt von vorn.
    Paul las mit lauter Stimme, es hörte sich eigenartig an, manchmal verließ er den Lieferwagen und schrie. Die Mutter sagte, er erschrecke die Freier. Irgendwann kämen sie nicht mehr, und das sei seine Schuld, sagte sie. Als er starb, traten Tränen an die Stelle ihrer Vorwürfe.
    »Stundenlang saß er wie ein Bekloppter in dem Lieferwagen, er wollte nur wissen, dass es nicht umsonst gewesen war …«
    Das Ende des Satzes ist kaum hörbar.
    Odon dreht einen Bleistift in den Fingern.
    »Es war nicht umsonst.«
    »Das hätte man ihm sagen müssen …«
    »Du gibst wohl nie Ruhe?«
    Er dreht den Kopf.
    Man hört Schritte im Flur, sie kommen näher. Es ist Julie. Ihr Blick gleitet über Marie und richtet sich dann auf ihren Vater. Sie trägt einen seltsamen Hut mit breiten Streifen.
    »Denkst du daran, für heute Abend einen Tisch im Restaurant zu reservieren?«
    »Wie viele werden wir sein?«
    »Acht.«
    Er notiert es auf einem Post-it.
    Marie dreht die Glaskugel um.
    6 Federico García Lorca (1935).

D ie Türen des Théâtre du Minotaure stehen offen, doch das Plakat von Die Brücken am Fluss ist durchgestrichen. Die Bühnenarbeiter haben für den Streik gestimmt. Es ist unmöglich, ohne sie zu spielen.
    Phil Nans geht weg, wütend.
    Das Publikum, das bereits im Saal sitzt, wartet. Verunsicherte Festivalbesucher stehen auf und gehen hinaus. Andere beschließen auszuharren.
    Die Jogar ist in ihrer Garderobe.
    Sie zieht ein enganliegendes türkisfarbenes Kleid an, ihr Körper wirkt perfekt darin. Sie geht auf die Bühne und lässt den Vorhang öffnen.
    Als sie nach vorne tritt, folgt ihr das Publikum mit den Augen. Sie wird nicht Die Brücken am Fluss spielen, doch sie wird zu ihnen sprechen.
    Sie fährt mit den Fingern über die kalte Tischecke.
    »Mein schöner Bühnenliebhaber macht Revolution auf der Straße, außerdem fehlen unsere wertvollen Bühnenarbeiter … und die Kassiererin.«
    Stille.
    »Aber wir waren verabredet …«
    Das sagt sie, die Jogar.
    Sie sind gekommen, um diese Stimme zu hören.
    »Ich werde Ihnen ein kurzes Gedicht von Josean Artze vortragen … Wir werden es so

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