Die Liebe ist eine Insel
phantastische Mühsal, die auch ein Vergnügen sei. Sie sagt, ein Leben reiche nicht aus. Man fragt sie, was das für ein Gefühl sei, so berühmt zu sein.
Sie lacht, erwidert, berühmt zu sein hindere einen nicht daran zu zweifeln.
Sie geht ein Stück in den Patio hinein. Odon sieht ihr Gesicht. Wieder diese warme Stimme.
»Es heißt, Sie seien verschlossen, schamhaft. Sind Sie endlich glücklich?«
Sie nähert sich den Pflanzen.
»Der Erfolg macht einsamer, macht die Einsamkeit unumgänglich.«
Während sie das murmelt, lässt sie ihre Hand durch das Laub wandern. Sie gibt ihnen die Jogar, sie erwarten das, diese Person. Theatralisch fährt sie mit der Hand durch die Luft. »Schreiben Sie das auf keinen Fall!«
In dem folgenden Stimmengewirr hört Odon die Fragen nicht mehr, nur das Gelächter.
»Sie haben Ultimes déviances geschrieben und gespielt, dieses Stück ist sehr wichtig für Sie gewesen, es hat Sie bekannt gemacht, Ihnen den Erfolg gebracht … Haben Sie vor, noch etwas zu schreiben?«
»Nein.«
»Dabei haben Sie mit diesem Text bewiesen, dass Sie ein wirkliches Talent zum Schreiben haben … Sie antworten nicht?«
Sie schiebt den Journalisten mit der Hand beiseite.
»Sie haben ja keine Frage gestellt.«
Der Journalist lässt nicht locker.
»Sie begnügen sich in Zukunft also mit den Worten der anderen?«
»Ich begnüge mich damit, ja.«
»Was ist Ihre nächste Rolle? … Man spricht von Verlaine … Es heißt, Sie werden allein auf der Bühne sein.«
»Allein, ja. Ich ertrage mich mit niemandem mehr.«
Sie lacht.
Im Spiegel begegnet Odon ihren glühenden Augen. In diesem raschen Blickwechsel liegt ihre ganze Geschichte.
Er lächelt ihr zu.
Sie ist schön. Verwirrend. Für keine andere Frau hat er je ein größeres Verlangen empfunden.
Sie strich mit den Händen über seinen Rücken, flüsterte ein paar Worte. Ich habe Lust heute Abend, Lust auf Sachen, die ich nicht sagen kann … Sie legte ihren Mund an sein Ohr. Weißt du, dass man die letzte Erregungsstufe vor dem Orgasmus Plateau-Phase nennt?
Solche Dinge sagte sie gern.
Sie lachte.
Sie verzauberte wieder seine Tage.
Lieben war so einfach.
Sie erwidert sein Lächeln.
Und dann entzieht sie sich, verlässt die Meute, kehrt auf ihr Zimmer zurück.
M arie schlendert über den Platz vor dem Papstpalast. Vor ihr nimmt ein junger Mann im T-Shirt Anlauf, rennt dreißig Meter und prallt gegen die Mauer. Andere machen es ihm nach. Mehr als fünfzig tun das. Sie rennen, prallen ab und beginnen von vorn auf dem unter der Sonne ächzenden Platz.
Marie macht Fotos. Es ist eine eigenartige Szene. Eine Kamera filmt für die Abendnachrichten.
Ein Mädchen fällt hin vor Erschöpfung. Auf die Knie, die Hände am Stein. An der Mauer klebt Blut. Das Licht ist grell, die Schatten schwarz. Das Gesicht des Mädchens blass.
Marie nähert sich.
Die Augen des Mädchens sind offen, sie hat langes schwarzes Haar. Zu erschöpft, um aufzustehen, bleibt sie auf den Knien, mit ausgestreckten Armen, die flache Hand an der Mauer.
»Spielen ist keine Arbeit, es ist eine Leidenschaft. Man tötet uns!«
M ehr als hundert Theatergruppen haben die Stadt bereits verlassen. Bei Isabelle findet ein spontanes Treffen statt, Schauspieler, Bühnenarbeiter, auch ein paar Festivalbesucher mischen sich unter die Gruppe. Es gibt nicht genug Stühle für alle, die zuletzt Gekommenen setzen sich auf den Boden.
Marie ist in ihrem Zimmer, als sie den Lärm hört. Sie steht auf.
Isabelle hält sich abseits, sie sitzt auf dem Sofa am Fenster, in einem blasslila-goldenen Strasskleid. Fransen am Saum, ein Gürtel um die Hüften, fünfziger Jahre, ein Perlenband um die Stirn.
Sie winkt Marie zu.
Schon zu Zeiten von Jean Vilar war es so, alle trafen sich bei ihr. Unangemeldet schneiten sie herein, Gérard Philipe mit Anne, Agnès Varda, René Char und alle anderen.
Sie machte riesige Paellas, Pistou-Suppe, es roch nach Anchovis und Oliven, sie strichen Olivenpaste aufs Brot, tranken phantastisch schmeckende Weine, alle waren sehr fröhlich.
Und dann starben Gérard Philipe, Jean Vilar und René Char. Isabelle hat seine schönen Kostüme in ihrem Schrank aufbewahrt.
Greg geht zu Marie.
»Ich lebe in der Phantasie«, sagt er mit müder Stimme.
Sie weiß nicht, warum er das sagt.
Sie benutzt ihre Phantasie, um sich auszudenken, wie sie leben soll.
Auch Julie ist da, am anderen Ende des Raums. Schauspieler, die gezwungen sind, auf der Straße zu spielen oder in
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