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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Lkw mit seinen großen gelben Scheinwerfern im Nebel aufgetaucht.«
    Daneben eine Bleistiftzeichnung, Soldaten der Terrakotta-Armee von Xian. Weitere Zeichnungen füllen die folgenden Seiten, ein Helm, Details eines Koppels.
    Weitere Sätze. »Die Welt sagt mir, pass auf dich auf, aber ich mache mir keine Sorgen, ich spiele nach meinen Regeln.«
    Auf manchen Seiten stehen die Zeichnungen im Text, Notizen für den Anfang einer Geschichte. Ort und Datum stehen am unteren Rand jeder Seite.
    »Ich sehe das Leben durch die Scheiben des Lieferwagens, den Blick der kleinen Marie. Sie hat ihr hübsches rotes Kleid angezogen. Es ist sieben. Sie klopft ans Fenster, bringt mir einen Kaffee. Was für eine verrückte Illusion! Wir werden endlich losfahren! Ich flüstere ihr ins Ohr, unsere Probleme werden verschwinden, wenn wir von der Freiheit träumen.«
    Diesen Satz hat er unterstrichen, unsere Probleme werden verschwinden, wenn wir von der Freiheit träumen.
    Eine Bank am Rand wird frei. Odon bestellt einen Cognac und nimmt sein Glas mit.
    Er setzt die Lektüre fort.
    »Ich habe keine Hunde, keine Hähne mehr, die ich kämpfen lassen kann. Tony will, dass ich wieder auf den Schild steige. Ich habe es bereits zweimal getan, das verbotene Glücksspiel, keiner schafft es ein drittes Mal.
    Ich werde es nur tun, wenn es schneit.«
    Es gibt noch mehr Seiten.
    »Ich habe es satt, die kleine Marie in den Pfützen aufwachsen zu sehen. Ich möchte mit ihr wegfahren, ihr die Dschunken zeigen.«
    Etwas weiter:
    »Es ist jetzt bald drei Wochen her, dass ich Anamorphose weggeschickt habe, noch immer keine Antwort. Trotzdem habe ich Hoffnung.«
    Es folgt eine Seite ohne Zeichnung.
    »Heute Morgen habe ich unter den Bäumen gepisst, es herrschte keine Eiseskälte, es war nicht windig, da waren nur der schwarze Weg und der stinkende Boden. Ich hatte meinen Schwanz in der Hand, als ich sie sah, ein paar Flocken, die nichts zu wiegen schienen. Der Wetterbericht hatte Kälte, aber keinen Frost vorhergesagt, und Schnee erst recht nicht. Ich dachte, man kann sich auf nichts mehr verlassen, und ich hörte die kleine Marie singen.«
    Odon legt das Heft hin.
    Er trinkt einen Schluck Cognac.
    Er beendet seine Lektüre.
    »Der Schnee blieb ein paar Stunden liegen, wir konnten auf ihm laufen und unsere Spuren hinterlassen. Marie kam aus der Schule, sie schämte sich wegen irgendeiner Fahrkartengeschichte. Ich wollte ihre Schule niederbrennen. Die Mutter sagte: ›Geh arbeiten.‹ Die kleine Marie weinte.
    Ich werde dich da rausholen, versprach ich ihr. Immer noch keine Nachricht bezüglich Anamorphose .«

E s wird Tag. Die Kröte ist irgendwo auf dem Kahn. Odon hört sie über den Fußboden springen. Ein Geräusch von Beinen und Körper.
    Jeff ist in der Küche. Er macht Kaffee. Er hat beschlossen, damit zu beginnen, das Deck zu lackieren, zuerst die Bretter auf dem Vorschiff. Er muss die Töpfe, den Staub und das angesammelte Laub entfernen.
    »Wirst du morgen da sein, wenn ich komme?«
    »Keine Ahnung.«
    »Aber auf den Kähnen neben uns wird jemand sein?«
    »Es ist immer jemand auf den Kähnen neben uns.«
    »Nicht immer.«
    »Versuch den Mund zu halten, Jeff.«
    Jeff wendet sich den Bullaugen zu.
    »Die Leute auf den anderen Kähnen mag ich auch.«
    Er reibt mit dem Finger die Scheibe.
    »Und wenn niemand auf den Kähnen ist?«
    »Es wird jemand da sein.«
    Und fast bedauernd fügt Odon hinzu: »Irgendwo ist immer jemand.«

D ie freien Theaterleute haben die vierzehn Tore der Stadtmauer geschlossen. Für ein paar Minuten wird Avignon eine Insel.
    Niemand kann mehr hinein oder hinaus.
    Avignon, geschlossene Stadt.
    Julie klettert auf eine Barrikade. Hin und her gerissen zwischen der Lust zu spielen und dem Wunsch, es mit der Staatsgewalt aufzunehmen. Sie zählt hundertfünfzig Sekunden, ehe die Bullen sie herunterholen.
    Die Radikalsten wollen den Papstpalast angreifen.
    Odon sieht sie über den Platz ziehen. Er versucht ruhig zu bleiben, doch es gelingt ihm nicht. Er hat Texte von Beckett und Tschechow inszeniert, sein Theater ist lange ein unumgänglicher Anziehungspunkt des Festivals gewesen. Er weiß, dass kreativ sein nicht genügt, man muss auch an die Öffentlichkeit gehen.
    In seinem Büro findet ein Treffen statt. Die Truppe, die L’Enfer spielt, kommt dazu. Es geht nicht darum, zu katzbuckeln, sondern Kompromisse zu machen. Der Streik der Off-Szene steht nicht mehr im Fokus des Interesses. Julie sagt, alle gesellschaftlichen

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