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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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menschliche Schreie. Eine Wut, die alles mit sich reißt.
    Die Türen des Chien-Fou stehen offen. Sie spielen nicht Nuit rouge , sondern erzählen Sketche und Geschichten. Der Eintritt ist frei. Greg schlüpft in ein altes Kostüm, das er oben aus einem Überseekoffer genommen hat.
    Julie nimmt zwei Marionetten aus einem Karton, sie parodiert die Rede des Präsidenten. Sie verspottet ihn, und der ganze Saal lacht.
    Damien betritt die Bühne, er trägt eine rote Clownsnase. Er sagt, Jack Lang sei da, irgendwo im Publikum. Er lässt das Licht im Saal anmachen, sucht in den ersten Reihen. »Herr Minister …« Alle Blicke richten sich auf einen großen Mann, der in der zweiten Reihe sitzt. Damien steckt daraufhin die Hand in seine Tasche, holt einen Revolver heraus, es geht alles sehr schnell, der Schuss zerreißt die Luft, und der Mann stürzt zu Boden.
    »Jetzt wird man über uns reden!«
    Hinten im Saal ertönen Schreie. Jemand lacht. Der Mann steht auf.
    Damien reicht Julie die Hand.
    »Du glaubst nicht an die Wut der Clowns?«
    Julie zittert so sehr, dass sie nicht antworten kann.

D ie Jogar hört den Lärm der Kasserollen, die Schreie, die ganze Revolte, die zu ihr heraufdringt. Sie schließt das Fenster und setzt sich auf den Bettrand. Es ist ein schönes Zimmer, die Wände sind mit Toile de Jouy tapeziert. An den Fenstern hängen schwere Vorhänge, mit Seide gefüttert, die Falten fallen auf den Boden.
    Über dem Bett ein Kronleuchter aus Venedig.
    Freunde erwarten sie zum Abendessen. Sie hat keine Lust zu reden.
    Sie setzt sich auf das Bett, massiert ihre Füße. Sie legt sich hin, betrachtet den Kronleuchter.
    Sie liest ein paar Seiten des Textes, den sie für den nächsten Winter lernen muss, Verlaine d’ardoise et de pluie 8 .
    Sie schließt das Buch.
    Blättert in Zeitschriften.
    Ihr Koffer ist offen, die Kleider hängen an Kleiderständern. Es wird Abend. Die Lampen im Garten brennen. Sie ruft ihre Freunde an, um ihnen zu sagen, dass sie nicht kommt. Sie hat Lust auszugehen. Sie könnte die Rhone überqueren und Odon auf seinem Kahn besuchen. Sie lässt sich einen Tee heraufbringen. Man serviert ihn ihr auf einem Tablett, zusammen mit süßen Törtchen.
    Die Glocken der Kirche läuten.
    Sie denkt an ihn. Sie hat ihn im Patio gesehen, wusste, dass er kommen würde, dass er irgendwann da sein würde, für sie, auf sie warten würde.
    Sie trinkt ihren Tee.
    In ihrem letzten Sommer fuhren sie in die Bretagne. Als sie in Saint-Malo ankamen, hatten sie Lust auf Guernsey. Die Heide, die Felsen und die Wellen, die sich an ihnen brechen, die Leuchttürme und die Nacht. Er schrieb ihr einen Satz von Baudelaire auf: »Man kann die Zeit nur vergessen, indem man sich ihrer bedient«. Als sie zurück war, klebte sie ihn über ihrem Schreibtisch an die Wand im blauen Zimmer, bei Isabelle.
    Die Liebe ist nicht von Dauer. Sie ist ein glühender Impuls, ein Feuer. Sie verdrängt die wehmütigen Erinnerungen. Daran und an alles andere.
    Sie trinkt ihren Tee aus und stellt die Tasse zurück.
    Sie klemmt ihren Kopf zwischen die beiden Kissen.
    Sie nimmt sich wieder Verlaine d’ardoise et de pluie vor.
    8 Guy Goffette, 1998.

E in Gässchen mit Huren, eine Weinbar, dort geht Odon hinein. Die Hände in den Taschen. Ein Jazzclub am Ende einer dunklen Sackgasse. Er hat seine Gewohnheiten. An der Bar ein paar einsame Gestalten. Glaskugeln auf den Tischen verbreiten ein düsteres Licht. Die Sitzbänke sind seit langem nicht mehr erneuert worden, das Kunstleder ist abgewetzt, hat Risse. Eine Jukebox spielt einen Song von Ray Charles.
    Auf der Bühne steht ein Klavier.
    Er stellt sich an die Bar und bestellt einen sehr starken Kaffee. Er holt das Heft hervor und legt es neben die Tasse.
    Er trinkt einen Schluck und betrachtet das Klavier. Früher kam er regelmäßig mit Mathilde hierher, nach den Abendproben, sie aßen Tapas und tranken Wein. Immer an demselben Tisch. Sie verschränkten ihre Beine. Sie redeten über das Theater und die Autoren, die sie liebten. Eines Abends sprachen sie über das, was sie tun würden, wenn sie alt wären.
    Odon trinkt seinen Kaffee aus.
    Er schlägt das Heft auf.
    Oben auf der ersten Seite steht der Name Selliès. In unregelmäßiger, fast ungelenker Schrift.
    »6 Uhr 30 – Der eiskalte Asphalt dringt in meine Latschen. Eine alte Frau im Morgenrock kommt mit einem Napf voller Essen aus ihrem Haus, einen Augenblick glaubten wir, es sei für uns, doch sie hat es den Katzen hingeworfen. Dann ist der

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