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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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hereinkamen. Aber ich glaube nicht, daß sich auch nur einer von ihnen in Wirklichkeit einen Zentimeter weiterbewegte.
    Der Kaffee war überraschend gut. Sylvia goß für uns beide eine zweite Tasse ein, als eine Stimme laut und klar fragte: »Hat es in London geregnet?« Nach einem kurzen Schweigen wurde mir klar, daß man uns gemeint hatte.
    Eine grimmig aussehende Giftnudel in Lila mit Lorgnette und Spazierstock wartete auf Antwort - und ebenso die anderen fünf. Eine winzige alte Lady fummelte an der Batterie ihres Hörgerätes herum.
    »Was haben Sie gesagt?« piepste sie.
    Die Lady in Lila beugte sich zu ihr hinüber. »Ich fragte sie, ob es in London geregnet hat«, dröhnte sie, und dann wandte sie sich an uns. »Miss Trapp braucht eine neue Batterie«, erklärte sie.
    Ich nickte verständnisvoll, und Sylvia lächelte.
    »Hat es?« fragte die lila Dame noch einmal.
    »Nein, kein Regen«, antwortete ich.
    Wir tranken unseren Kaffee, während die Uhr tickte, das Feuer prasselte und geschwiegen wurde.
    »Möchten Sie vielleicht ein Pfefferminz zu Ihrem Kaffee?« Die Schachtel wurde von einer Hand herübergereicht, die von dicken Adern überzogen war und von der Parkinsonschen Krankheit geschüttelt wurde.
    »Nein, lieber nicht. Vielen Dank.«
    »Vielleicht möchte Ihre...«, es gab ein kurzes Zögern, »... Gattin eines?«
    Sylvia wollte nicht unfreundlich sein und nahm eines, obwohl sie, wie ich wußte, Pfefferminz nicht ausstehen konnte. Ich zwinkerte ihr zu, sich zu beeilen. Wenn wir nicht schnellstens die Flucht ergriffen, würden wir hier bis zur Schlafenszeit festgenagelt werden. Sie hatten das altbekannte Spiel begonnen, in dem sie geübte Akteure waren. Schon mit einer Frage und einem Pfefferminz hatten sie festgestellt, daß wir von London kamen und - da wir uns von der einfachen Frage nicht hatten verwirren lassen - wirklich Mann und Frau waren. Wenn wir noch länger bleiben würden, könnte ich dafür garantieren, daß sie, bevor es mir selber klargeworden war, erfahren hätten, wie hoch mein Einkommen war und wie oft ich meine Socken wechselte. Ich konnte nicht erwarten, sie in ihrem eigenen Spiel zu schlagen, und ich wünschte das im übrigen auch gar nicht.
    Ich schlug Sylvia flüsternd vor, unsere Mäntel zu holen, um uns vorm Zubettgehen noch einmal den Wind um die Nase wehen zu lassen, und wir standen auf. An der Treppe angelangt, fiel mir ein, daß ich meine Zeitung im Aufenthaltsraum vergessen hatte.
    »Geh schon«, bat ich Sylvia, »ich will sie mir doch lieber holen.«
    Sie hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und sahen mich nicht hereinkommen.
    »Was war das?« fragte Miss Trapp.
    »Der Colonel meint, daß sie in den Flitterwochen sein müssen!« erklärte die Lady mit der Parkinsonschen Krankheit, so deutlich sie konnte.
    Ich nahm meine Zeitung und stimmte freundlich zu: »Zum vierten Mal.« Sie blickten mich erschrocken an. »Vielleicht auch zum fünften. Man verliert die Übersicht.« Ich zwinkerte ihnen zu und ließ sie dann mit diesem Bissen allein. Als ich später in meinem Bett lag, ohne Sylvia in der gewohnten erreichbaren Nähe zu haben, drehte ich mich hin und her und lauschte auf das unaufhörliche Rauschen des Meeres, während ich halb und halb, genau wie zu Hause, auf das Klingeln des Telefons wartete. Ich wußte, daß ich Ferien hatte, aber ich war nicht imstande, mich aus dem Alltag zu lösen, mein Motor war zu sehr auf Hochtouren gelaufen. Nach einer halben Stunde gab ich das Herumwühlen auf und begann zu ächzen und zu stöhnen, in der selbstsüchtigen Hoffnung, daß Sylvia es hören würde, denn ich hatte nicht den Mut, sie kaltblütig aufzuwecken. Der Erfolg war sofort da. Offensichtlich hatte sie ebenfalls nicht geschlafen.
    Sie sagte nichts, knipste die Lampe an und hüpfte aus ihrem Bett. Ich beobachtete neugierig, daß sie etwas aus ihrem Kosmetikköfferchen nahm. Sie kam zu mir und hielt es mir auf ihrer Handfläche entgegen.
    »Nimm das«, befahl sie.
    Ich fuhr hoch. »Was ist das?«
    »Eine Schlaftablette.«
    »Woher hast du die?«
    »Aus deinem Arzneischrank. Ich konnte mir denken, daß du ohne so was nicht einschlafen kannst.«
    »Ich habe noch nie in meinem Leben eine Schlaftablette genommen.«
    Sylvia nahm das Wasserglas von meinem Nachttisch. »Gut, dann wird es jetzt das erste Mal sein.«
    Und ich gehorchte. Als ich nach zwölf Stunden ununterbrochenen Schlafs aufwachte, schien die Sonne von Limmering durch die Fenster. Ich wollte gerade zu Sylvia sagen, daß

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