Die Liebenden von Leningrad
protestierte Tatiana verlegen. Dascha zwickte sie in den Oberschenkel. »Tania, erzähl Dima und Alex, dass diese wilden Bestien dich nie in Ruhe gelassen haben.« Sie lachte. »Du hast sie angezogen wie Honig die Bären.« »Ja, erzähl es uns, Tania!«, bat Dimitri. Alexander sagte nichts.
Tatiana war knallrot geworden. »Dascha, da war ich vielleicht sieben! Wir waren eine ganze Gruppe, Jungen und Mädchen.« »Ja, und alle schwirrten um dich herum.« Dascha warf Tatiana einen stolzen Blick zu. »Unsere Tania war so ein süßes Kind! Sie hatte runde Knopfaugen und winzige Sommersprossen und dann diese weißblonden Haare! Sie lief durch Luga wie der Sonnenschein. Keine der alten Damen konnte die Finger von ihr lassen.«
»Nur die alten Damen?«, wollte Alexander wissen. »Schlag mal ein Rad«, ermunterte Dimitri sie und legte Tatiana die Hand auf den Rücken. »Zeig uns, was du kannst.« »Ja, Tania!«, stimmte Dascha mit ein. »Komm, das ist der perfekte Platz dafür, findest du nicht auch? Hier vor dem majestätischen Palast, vor den Brunnen, den Rasenflächen und den blühenden Gardenien ...«
»Die Deutschen sind in Minsk ...«, sagte Tatiana versonnen und versuchte, Alexander nicht anzusehen, der auf seinen Ellbogen gestützt auf der Decke lag. Er sah so entspannt aus, so vertraut...
Und zugleich vollkommen unerreichbar.
»Vergiss die Deutschen«, maulte Dimitri. »Hier ist ein Ort für die Liebe.«
Genau davor hatte Tatiana Angst.
»Komm schon, Tania«, sagte Alexander leise. Er setzte sich auf und kreuzte die Beine. »Zeig uns dein berühmtes Radschlagen.« Er zündete sich eine Zigarette an. Dascha drängte: »Du schlägst doch sonst bei jeder Gelegenheit ein Rad.«
Heute hätte Tatiana es lieber nicht getan.
Seufzend erhob sie sich von der alten Decke. »Gut. Obwohl ich ehrlich gesagt nicht genau weiß, was das für eine Königin sein soll, die Räder für ihre Untertanen schlägt.« Tatiana trug ein Kleid, zwar nicht das Kleid, aber ein rosafarbenes, ebenso dünnes Sommerkleid. Sie entfernte sich ein paar Meter und fragte: »Seid ihr bereit?« Alexander verschlang sie mit den Augen.
Sie stellte den rechten Fuß vor, hob die Arme und begann, in perfekten Bögen herumzuwirbeln. Ihre Haare flogen, und ohne auch nur einmal Luft zu holen, schlug sie ein Rad nach dem anderen.
Als sie mit gerötetem Gesicht und zerzausten Haaren zur Decke zurückkam, warf sie einen verstohlenen Blick auf Alexanders Gesicht. Alles, was sie wissen wollte, war dort zu lesen. Lachend ließ sich Dascha auf Alexander fallen und sagte: »Was habe ich dir gesagt? Sie hat verborgene Talente.« Tatiana schlug die Augen nieder und setzte sich. Dimitri strich über Tatianas Rücken und sagte: »Na, Tania, was hast du denn sonst noch alles in deiner Trickkiste?« »Mehr nicht«, erwiderte sie kurz angebunden. Ein wenig später fragte Dimitri: »Dascha, Tania, wie würdet ihr die Liebe definieren?« »Was?«
»Wie würdet ihr Liebe definieren? Was bedeutet euch die Liebe?«
»Dima! Wer will das schon wissen?« Dascha lächelte Alexander an.
»Es ist ja nur eine Frage, Dascha.« Dimitri schenkte sich einen weiteren Wodka ein. »Es ist ein schöner Sonntag und dieser Platz hier eignet sich besonders für eine solche Frage.« Er grinste Tatiana an.
»Ich weiß nicht ... Alexander, soll ich sie beantworten?«, fragte Dascha.
Alexander zuckte mit den Schultern. »Wenn du willst.« Die Decke ist zu klein für uns alle vier, dachte Tatiana. Sie saß im Schneidersitz, Dima lag links neben ihr auf dem Bauch und Alexander und Dascha lagen vor ihr. Dascha lehnte sich an Alexander.
»Na gut. Liebe ... lasst mich mal überlegen«, sagte Dascha. »Hilfst du mir, Tania?«
»Dasch, das kannst du schon allein.« Tatiana verkniff sich zu erwähnen, dass Dascha schon reichlich Feldforschung betrieben hatte.
»Hmm ... Liebe. Liebe ist ... wenn er vorbeikommt, wie er es versprochen hat«, sagte sie und stieß Alexander leicht an. »Liebe ist, wenn er zu spät kommt, aber sagt, dass es ihm Leid tut.« Sie lächelte. »Liebe ist, wenn er keine anderen Mädchen außer mir ansieht.« Sie schubste Alexander noch einmal. »Wie findest du das?«
»Sehr gut, Dascha«, sagte Alexander. Tatiana hustete.
»Tania! Bist du etwa nicht damit zufrieden?«, fragte Dascha. »Nein, nein, es ist sehr gut.« Aber das Zögern in ihrer Stimme war deutlich zu hören.
»Was ist los, Schlaubergerin? Was habe ich vergessen?«
»Oh, nichts, Dasch. Für mich hat es
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