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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
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Täuschungsmanövern bestehen würde.
    Wie sollte sie mit dieser Schuld weiterleben, zumal sie auch noch jede Nacht neben ihrer Schwester schlafen musste? Ihre Schwester war diejenige gewesen, die sie in Luga vor zwölf Jahren zum Pilzesammeln mitgenommen und ihr beigebracht hatte, dass man dazu immer nur einen Korb und nie ein Messer bei sich haben sollte. »Damit die Pilze keine Angst bekommen«, hatte sie ihr augenzwinkernd erklärt. Ihre Schwester hatte sie mit fünf Jahren gelehrt, sich die Schnürsenkel zu binden, Fahrrad zu fahren und süßen Klee zu essen. Sie hatte sich in jedem Sommer um sie gekümmert, für sie gekocht, ihre Zöpfe geflochten und sie gebadet, als sie klein war. Sie hatte Tatiana abends mitgenommen, als sie mit ihren Verehrern ausging, damit Tatiana beobachten konnte, wie junge Männer mit jungen Frauen verkehrten. Tatiana hatte verlegen am Newskij Prospekt an einer Mauer gelehnt und ihr Eis gegessen, während sich die älteren Jungen und Mädchen geküsst hatten. All diese Erinnerungen bestärkten Tatiana in der Gewissheit, dass sie nicht einen Tag lang so weitermachen konnte. Sie musste Alexander bitten, sie nicht mehr bei Kirow abzuholen.
    Tatiana liebte ihn, so viel stand fest. Aber sie musste ihre Gefühle beherrschen. Das wurde ihr immer mehr bewusst. Tatiana drehte sich um und strich ihrer Schwester zärtlich über die dicken, dunklen Locken.
    »Hmm, das ist schön, Taneschka«, murmelte Dascha. »Ich liebe dich, Dascha«, flüsterte Tatiana und ihre Tränen tropften auf das Kopfkissen. »Hmm, ich liebe dich auch. Schlaf jetzt.« Und während Tatiana weiter über das begangene Unrecht sinnierte, wisperte sie leise seinen Namen: Shu-ra, Shu-ra, Shu-ra.

    Am Montag darauf stand ein lächelnder Alexander vor dem Fabriktor. Tatiana indes war sehr ernst, als sie ihm entgegenging. »Alexander, du kannst nicht mehr hierher kommen!«, verkündete sie entschlossen, noch bevor sie ihn begrüßte. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und er stand schweigend vor ihr. Schließlich brachte er hervor: »Komm, lass uns ein bisschen laufen.«
    Sie gingen den langen Block Richtung Goworowa entlang. »Was ist los?« Er blickte zu Boden.
    »Alexander, ich kann das nicht mehr aushalten. Ich kann es einfach nicht!« Er schwieg.
    »Ich schaffe es nicht«, sagte Tatiana. Das Pflaster unter ihren Füßen verschaffte ihr Sicherheit. Sie war froh, dass sie sich fortbewegten und sie ihn nicht anzusehen brauchte. »Es ist zu schwer für mich.« »Warum?«, wollte er wissen.
    »Warum?« Die Frage traf sie unvorbereitet und sie schwieg. Sie konnte keine ihrer Antworten laut aussprechen. »Wir sind doch nur Freunde, Tania, oder nicht?«, fragte Alexander leise. »Gute Freunde. Ich komme dich abholen, weil ich weiß, dass du müde bist. Du hattest einen langen Tag, du hast einen langen Heimweg und noch einen langen Abend vor dir. Ich komme, weil du manchmal lächelst, wenn wir zusammen sind, und ich glaube, dass du glücklich bist. Stimmt das etwa nicht? Deshalb komme ich. Es ist nichts Besonderes.« »Alexander!«, rief sie aus. »Es stimmt, wir reden uns ein, dass nichts Besonderes dahinter steckt.« Sie holte tief Luft. »Aber warum erzählen wir Dascha dann nichts davon? Warum trennen wir uns jeden Abend drei Blocks vor unserem Haus?« Langsam erwiderte er: »Dascha würde es nicht verstehen. Es würde ihre Gefühle verletzen.« »Natürlich! Das sollte es auch!« »Aber, Tania, das hat doch nichts mit Dascha zu tun.« »Doch, Alexander, es hat mit Dascha zu tun. Ich kann nicht jede Nacht neben ihr im Bett liegen und ein schlechtes Gewissen haben. Bitte, versteh mich doch!«, flehte sie. Sie erreichten die Straßenbahnhaltestelle und Alexander baute sich vor Tatiana auf. »Tania, sieh mich an!« Sie drehte den Kopf zur Seite. »Nein!« »Sieh mich an!«, wiederholte er und ergriff ihre Hände. Sie blickte Alexander an. Seine großen Hände fühlten sich so wunderbar an. Sie bekam kaum noch Luft. »Tatia, schau mich an und sag: Alexander, ich möchte nicht mehr, dass du kommst.«
    »Alexander«, flüsterte sie, »ich möchte nicht mehr, dass du kommst.«
    Er ließ ihre Hände nicht los.
    »Nach dem gestrigen Tag willst du nicht mehr, dass ich komme?«, fragte er mit schwankender Stimme. Tatiana konnte ihn nicht ansehen, als sie antwortete: »Gerade jetzt!«
    »Tania!«, rief er plötzlich aus. »Wir sollten es ihr sagen!« »Was?« Sie glaubte, sie habe sich verhört. »Ja! Wir sagen es ihr!«
    »Was wollen

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