Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paullina Simons
Vom Netzwerk:
den Sanitäter, um ihn um etwas zum Anziehen und um ein paar Tabletten zu bitten. Michail hatte keine Tabletten, aber er fand ein Kleid, das einer der Krankenschwestern gehört hatte, die vor ein paar Tagen umgekommen war. »Obergefreiter, ich brauche ein lausiges Gramm Morphium!«
    »Ich habe nichts«, gab Michail wütend zurück. »Man wird erschossen, wenn man Morphium stiehlt. Für ein gebrochenes Bein gibt es kein Morphium. Wollen Sie, dass ich es eher ihr gebe als einem Soldaten der Roten Armee?« Alexander antwortete nicht. Er kehrte in sein Zelt zurück und zog Tatiana vorsichtig das Kleid über den Kopf. »Du bist ein guter Mann, Alexander«, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Wange.
    »Aber in erster Linie ein Mann«, erwiderte er leise und drückte sein Gesicht gegen ihre Hand. »Dein Bein muss schrecklich wehtun. Trink noch einen Schluck Wodka, das wird die Schmerzen lindern.«
    »In Ordnung«, gab sie nach. »Ich tue alles, was du sagst.« Er reichte ihr die Flasche, dann fragte er: »Bist du bereit aufzubrechen?«
    »Lass mich hier«, sagte Tatiana. »Geh allein und lass mich hier. Sie haben bestimmt im Lazarettzelt noch Platz für mich. Wenn einer stirbt, wird ein Bett frei.«
    »Nie im Leben werde ich dich hier zurücklassen.« Er packte seine Sachen zusammen. »Komm, ich helfe dir. Kannst du auf einem Bein stehen?«
    »Ja ...« Sie stöhnte. Schwankend hielt sie sich an Alexander fest. »Gib mir deinen Rucksack«, bat sie. »Dann ist es leichter für dich.«
    Er gehorchte und sagte dann: »Tania, ich hocke mich jetzt vor dich hin und du schlingst die Arme um meinen Hals. Halt dich gut fest, hörst du?«
    »Ja. Was ist mit deinem Gewehr?«
    »Das halte ich in der Hand«, gab Alexander zurück.
    Er nahm sie huckepack. »Fertig?«
    »Ja.«
    Als er sie stöhnen hörte, fragte Alexander: »Tut es sehr weh?« »Nein. Es ist nicht so schlimm.«
    Alexander trug Tatiana auf dem Rücken bis zum Bahnhof von Luga, wo die Schienen jedoch entgegen aller Hoffnung noch nicht repariert waren. »Was jetzt?«, fragte sie ängstlich. Alexander ließ sie zu Boden und gab ihr einen Schluck Wasser. »Jetzt gehen wir durch den Wald zum nächsten Bahnhof.« »Wie weit ist das?«
    »Ungefähr sechs Kilometer«, erwiderte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Alexander, nein. Du kannst mich nicht noch einmal sechs Kilometer weit tragen.« »Hast du einen anderen Vorschlag?«, fragte er und bückte sich zu ihr hinab. »Lass uns gehen!«
    Sie befanden sich gerade auf dem Waldweg, als sie auf einmal das Geräusch von Flugzeugen vernahmen. Alexander wäre weitergegangen, aber mit Tatiana auf dem Rücken wollte er das nicht riskieren. Sie würde als Erste getroffen werden.
    Also schlug er sich in die Büsche und setzte sie nahe einem umgestürzten Baum ab. »Leg dich hin und dreh dich auf den Bauch«, befahl er. Als sie sich nicht rührte, sagte er: »Du brauchst keine Angst zu haben, Tania.«
    »Warum sollte ich Angst haben?«, entgegnete sie und blickte ihn an. Sie legte ihm die Hände auf die Brust. »Oh Shura ...« Alexander hielt es nicht mehr aus. Er beugte sich über sie und küsste sie.
    Ihre Lippen waren so weich und voll, wie er es sich vorgestellt hatte. Tatianas ganzer Körper zitterte, als sie seinen Kuss mit einer solchen Zärtlichkeit, einer solchen Leidenschaft erwiderte, dass Alexander unwillkürlich aufstöhnte. Ihre Hände umklammerten seinen Kopf und ließen ihn nicht los. »Oh Gott...«, flüsterte er.
    Das Krachen der Bomben über ihnen trieb sie auseinander. Die Spitze einer Tanne fing Feuer und brennende Äste fielen auf den feuchten Waldboden. Alexander drehte Tatiana auf den Bauch und legte sich neben sie, wobei er sie mit seinem Arm und dem halben Körper deckte.
    Als die Bombardierung aufhörte, sagte Alexander: »Lass uns weitergehen. Wir müssen den Zug erreichen. Wir sollten uns beeilen.«
    Er hockte sich mit dem Rücken zu ihr hin und sie hielt sich an ihm fest. Dann trug er sie weiter. »Ich bin so schwer ...«
    »Nicht schwerer als mein Rucksack«, erwiderte er keuchend. »Halt dich einfach fest. Wir sind bald da.« Ab und zu schlug sein Gewehr gegen ihr gebrochenes Bein und Alexander spürte, wie sie sich vor Schmerz verkrampfte, aber sie gab keinen Laut von sich. Einmal sank ihr Kopf gegen seinen Rücken und er hoffte, dass sie durchhielt. Unter einem schwarzen, rauchigen Himmel trug Alexander Tatiana auf seinem Rücken durch den brennenden Wald bis zum nächsten Bahnhof. Es fielen keine Bomben

Weitere Kostenlose Bücher