Die Liebeslist
sie eben erst zurückgekehrt von einem strapaziösen Feldzug nach Anjou, jenseits des großen Kanals, wo Gervase Fitz Osbern, Lord of Monmouth, etliche strategische Festungen unterhielt.
Gervase legte ein rasantes Tempo vor. Die Überfahrt über den Kanal war schlimm gewesen; noch jetzt erinnerte er sich mit Grausen, wie er an Bord des Kahns hin und her geworfen worden war, völlig durchnässt und einen ganzen Tag grässlich seekrank. Die Seefahrt war eben nichts für ihn. Nun aber befand man sich wieder auf festem Boden. Er hob den Kopf und streckte die Nase in den Wind, als prüfe er witternd wie der neben ihm trottende Hund die in der Luft liegenden Gerüche. Die Heimat war in greifbarer Nähe; durch die beständig wirbelnden Dunstschleier hindurch erkannte man in der Ferne bereits die dunklen Umrisse der Black Mountains.
Kurze Zeit später traf die Kolonne auf eine Reisegruppe, die ebenfalls auf der Landstraße entlangritt. Was die Reisenden zu erzählen wussten, das machte Fitz Osbern einen gründlichen Strich durch die Rechnung. In den Waliser Marken, so hieß es, da gehe das Gerücht, William de Longspey, der Earl of Salisbury, liege im Sterben.
Bei dieser Nachricht stockte Fitz Osbern der Atem. Ihm war, als habe er einen Schlag in die Magengrube erhalten.
„Reiten wir weiter, Mylord?“ Watkins, sein Unterführer, musste ihn beinahe anstoßen, so schwer hatte die Kunde Fitz Osbern getroffen. Reglos saß er im strömenden Regen im Sattel, mitten auf der Landstraße, die Miene finster verzogen, den Blick missmutig auf einen fernen, imaginären Punkt gerichtet.
Er riss sich zusammen, hob den Kopf und nahm wieder die Zügel auf. Sein Entschluss stand fest: Es ging weiter. „Wir übernachten in Hereford.“ Die Führungsstärke ihres Lords, verbunden mit den Verheißungen randvoller Fleischtöpfe, verfehlte ihre Wirkung nicht und ließ Gemurre unter den Männern gar nicht erst aufkommen. „Und in Hereford“, fügte Fitz Osbern leise und mit entschlossener Miene hinzu, „da schaue ich höchstpersönlich erst einmal nach, wie es um den Gesundheitszustand von William de Longspey bestellt ist.“
Zur selben Zeit, ein paar Meilen entfernt in der wohlhabenden Stadt Salisbury, war Rosmund de Longspey in gereizter Stimmung. Aber wer wollte es ihr verdenken? Inzwischen annähernd vierundzwanzig Jahre alt, ohne Verlobten und ohne die geringste Aussicht auf einen Gemahl, hatte sie eben zum zweiten Mal im Leben den Vater verloren und blickte in eine ungewisse Zukunft. Da spielte es auch keine Rolle, dass sie von edlem Geblüt und – das konnte man wirklich nicht abstreiten – recht adrett anzusehen war.
Aus diesem Grunde zu Recht missgestimmt, gesellte sie sich nun zu den restlichen Familienmitgliedern, um das Ableben von William de Longspey, Earl of Salisbury, zu betrauern, der einem grassierenden Schüttelfieber erlegen war. Sie war mit dem Earl nicht blutsverwandt, was wohl erklärte, dass sich ihre Trauer anlässlich dieses betrüblichen Ereignisses in Grenzen hielt. Als ihr Stiefvater hatte er für sie nur wenig Interesse und noch weniger Zuneigung gezeigt. Als Tochter aus erster Ehe von Countess Petronilla mit John de Bredwardine hatte Rosamund bei der zweiten Ehe der Mutter den Namen ihres Stiefvaters angenommen und erwartete aus diesem Grund nun auch mit Spannung die Eröffnung seines Testaments. In knapp einer Stunde sollte sich nämlich in eben diesem Gemach ihre gesamte Zukunft entscheiden, ganz gleich, ob es ihr passte oder nicht.
Überraschungen blieben aus, als Pater Benedict, der Burgkaplan derer zu Longspey, das Testament des Verstorbenen verlas. Für seine Nachkommen aus erster Ehe hatte der Verblichene angemessen vorgesorgt. Adelstitel und Sitz in Salisbury sowie der Großteil der überall im Land verstreuten Ländereien gingen über auf Gilbert, den Erstgeborenen, der diese Nachricht mit einem selbstgefälligen Nicken quittierte. Auch Walter und Elizabeth waren bedacht worden. Die trauernde Witwe, Countess Petronilla, erhielt die Güter und Einkünfte aus ihrer in die Ehe eingebrachten Mitgift. Auf Wunsch stand ihr Wohnrecht auf Lebenszeit als Ehrengast im Schloss zu Salisbury zu. Außerdem gehörte ihr fortan Lower Broadheath, ein schönes, idyllisch gelegenes Landgut. Earl William hatte sich wahrlich als großzügig und redlich erwiesen.
„Mylord ging davon aus, dass Ihr womöglich wieder heiraten würdet“, sagte Pater Benedict gütig lächelnd zur Witwe.
Die vergoss ob ihres Verlustes
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